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Carpe Somnium (German Edition)

Carpe Somnium (German Edition)

Titel: Carpe Somnium (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andy Marino
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erinnerte sie zu sehr an Jiris letzten Augenblick. Die Blätter eines nahen Baums raschelten, und Mistletoe schaute auf. Füße baumelten, Beine erschienen, dann hing dort einen Moment lang ein ganzer Junge, ehe er sich auf den Boden fallen ließ.
    Sliv.
    Lautlos kam er über das Gras auf sie zu. Er trug ein langärmliges Shirt mit einem Muster aus grünen und braunen Klecksen: Old-School-Tarnklamotten. Um die Brust hatte er sich einen ledernen Gurt geschlungen, bestückt mit mehreren selbst hergestellten Wurfsternen, für die er kurze Klingen zwischen die abgeschliffenen Zähne silbriger Zahnräder gelötet hatte. Ein abgetragener brauner Handschuh verbarg seine fehlende Hand. Er warf Mistletoe ein knappes Lächeln zu, dann machte er sich daran, Schlapphuts zusammengesunkenen Körper von dem schnittigen schwarzen Scooter zu hieven.
    »Kann mal einer mit anfassen?«, keuchte er. Mistletoe war mit zwei Sätzen bei ihm und schob von der anderen Seite, behutsam, um ihren Disruptor nicht auszulösen, den sie schussbereit hielt, nur für den Fall. Gemeinsam schafften sie es, Schlapphut von seinem Sitz und in Slivs Arme zu kippen. Das makellose hellbraune Hemd des Cops lockerte sich und schob sich bis unter sein Kinn, sodass es die Wunde in seinem Hals bedeckte.
    »Danke fürs Nicht-auf-mich-Hören«, sagte Mistletoe, als sie Schlapphut hinüber an die Steinwand gewuchtet hatten.
    »Konnt ja nicht ahnen, dass du hier oben in Schwierigkeiten gerätst, oder?«
    Deirdre setzte Rothaars Körper neben den seines Partners, dann tastete sie routiniert seine Taschen ab und steckte seinen Taser-Schlagstock in ihren Beutel. »Alte Gewohnheit«, sagte sie und stand auf.
    Mistletoe fragte sich, ob Professor O’Hanlon ihrer Vergangenheit nicht näher war, als sie sich gern einredete. Deirdre schwang sich auf den Scooter von Rothaar und klemmte sich ihre Tasche zwischen die Beine. »Falls wir uns nordwärts halten«, sagte sie, »gibt’s da ein Ferienhaus für ordentliche Professoren in der Nähe von Montreal.«
    »Die werden Sie dort suchen«, sagte Mistletoe.
    »Bin außerordentlicher Professor.«
    »Vergessen Sie’s«, sagte Sliv und kletterte auf Schlapphuts Scooter. »Ich kenn da ein sicheres Plätzchen bei mir zu Hause.« Er streckte die Hand aus und zog Mistletoe auf den Sitz.
    Deirdre deutete auf den Boden. »Bei dir zu Hause, das heißt subsphärisch?«
    »Japp«, sagte Mistletoe. Sie quetschte sich zwischen Sliv und die Kontrolltafel. »Ich fahre.«
    Die Uhrmacher fläzten sich in der Notaufnahme des verlassenen Rio- II -Hospitals wie Hunde in der Sommerhitze und sahen mit halb offenen Augen und schläfriger Neugier zu, wie Sliv seine beiden Gäste durch ihren Unterschlupf eskortierte. Sie hatten die meergrünen Matratzen von den Krankenhausbetten gezogen und mit ihnen ein labyrinthisches Gewirr aus miteinander verbundenen Schlafkojen ausgepolstert, das sich gegen die rissigen und abbröckelnden Wände der Unfallstation duckte. Ein paar der Gangmitglieder hatten karierte Shirts und knallbunte Stoffreste als Vorhänge angebracht, während andere sich ungeniert vor aller Augen in ihrer Unterwäsche rekelten. Sogar, wie Mistletoe erstaunt feststellte, einige von den Mädchen. Kurz flackerte Wut in ihr auf, und sie fragte sich, warum Sliv sie nie gebeten hatte, sich seiner Gang anzuschließen.
    Ein plötzliches Huschen neben ihnen ließ Deirdre erstarren. Das Kamerainsekt kletterte auf einen kleinen Berg aus rostigen Industriekaffeemaschinen und richtete sein Objektiv auf die Besucher. Sliv verscheuchte es mit einem Wink seiner Hand, und das Insekt verzog sich unter die Koje eines schnarchenden Jungen mit knallweißem Haar.
    »Ihr müsst nicht hier unten bei uns bleiben«, sagte Sliv. »Ich lass euch ’n passables Plätzchen in der Chirurgischen einrichten.«
    Es hatte sie mehrere Stunden gekostet, um ins Hospital zu kommen. Zunächst hatte Sliv sie durch ein schwindelerregendes Geflecht von Oberstadtgassen gelotst, um ganz sicherzugehen, dass sie nicht verfolgt wurden. Dann hatten sie die ESCPD -Scooter an der Luftschleuse zurückgelassen, waren den Zugangsschacht hinuntergestiegen und hatten sich schließlich auf langen und komplizierten Umwegen durch zahllose schmale Tunnel bis in die Notaufnahme durchgeschlagen.
    »Bei euch ist wohl früh Schlafenszeit«, sagte Deirdre.
    »Wir gehen nachts auf Beutezug«, erklärte Sliv. »Nicht mehr lang, dann ist Zeit zum Aufstehen.«
    Am anderen Ende der Notaufnahme, hinter einem

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