Carre, John le
Lichter gelöscht worden waren, war er
geräuschvoll aufs Klo gegangen, hatte sich den Finger in den Hals gesteckt,
hatte gewürgt und sich schließlich übergeben. Die Schlafsaal-Aufsicht, die
hätte wachen und Alarm schlagen sollen - »Matron, Roach ist krank« - verschlief
jedoch die ganze Scharade. Roach kletterte hundeelend wieder in sein Bett. Am
nächsten Nachmittag hatte er von der Telefonzelle neben dem Lehrerzimmer aus
irgendeine Nummer gewählt und sinnloses Zeug in die Muschel geflüstert, in der
Hoffnung, daß einer der Lehrer es hören und ihn für verrückt erklären würde.
Niemand achtete auf ihn. Er hatte versucht, Wirklichkeit und Träume zu
vermischen, und gehofft, alles, was er erlebt hatte, könne zu einem
Phantasiegebilde werden; aber allmorgendlich, wenn er an der Senke vorbeikam,
sah er wieder Jims bucklige Gestalt im Mondlicht über den Spaten gebeugt; er
sah den schwarzen Schatten des Gesichts unter der Krempe seines alten Huts und
hörte Jim beim Graben vor Anstrengung grunzen.
Roach
hätte gar nicht dort sein dürfen. Auch das war seine Schuld: sein Wissen war
durch Sünde erworben. Nach einer Cellostunde am anderen Ende des Dorfs war er
absichtlich langsam zur Schule zurückgekehrt, um zur Abendandacht zu spät zu
kommen und Mrs. Thursgoods mißbilligendem Auge zu entgehen. Die ganze Schule
lobte Gott, alle, außer ihm und Jim: er hörte sie das Tedeum singen,
als er an der Kirche vorüberkam. Er hatte den längeren Weg gewählt, um an der
Senke vorbeizukommen, wo Jims Licht brannte. Von seinem gewohnten Platz aus beobachtete
Roach, wie Jims Schatten sich langsam über die Fenstergardine bewegte. Er geht
früh schlafen, dachte er beifällig, als das Licht plötzlich erlosch; denn Jim
war nach seiner Ansicht in letzter Zeit zu viel weg gewesen, er war nach dem
Rugby im Alvis weggefahren und erst zurückgekommen, wenn Roach bereits schlief.
Dann öffnete sich die Tür des Wohnwagens und schloß sich wieder, und Jim stand
an der Gemüsemiete mit einem Spaten in der Hand, und Roach fragte sich in
großer Verwunderung, wonach er dort im Dunkeln wohl graben mochte. Nach Gemüse
für sein Abendessen? Eine Weile stand Jim völlig still und lauschte auf das Tedeum; dann
blickte er langsam in die Runde und direkt auf Roach, der vor den schwarzen
Erdhocken nicht zu sehen war. Roach überlegte sogar, ob er ihn anrufen solle;
aber er hatte ein zu schlechtes Gewissen, weil er die Andacht geschwänzt hatte.
Dann fing
Jim an, Maß zu nehmen. So wenigstens schien es Roach. Anstatt zu graben war er
an einer Ecke des Beets niedergekniet und hatte den Spaten auf die Erde
gelegt, als wolle er damit etwas anvisieren, was Roach nicht sehen konnte: zum
Beispiel den Kirchturm. Daraufhin schritt Jim rasch dorthin, wo das platt des
Spatens lag, markierte mit der Ferse die Stelle, hob den Spaten auf und führte
schnell mehrere Stiche, Roach zählte zwölf; dann trat er zurück und nahm wieder
Maß. Aus der Kirche hörte man nichts; dann Gebete. Jim bückte sich hastig und
hob ein Paket aus der Erde, das er sofort unter seinem Dufflecoat verbarg.
Sekunden später, und viel schneller, als menschenmöglich schien, fiel die Tür
des Wohnwagens wiederum zu, das Licht ging wieder an, und Bill Roach schlich im
kühnsten Augenblick seines Lebens auf Zehenspitzen hinunter in die Senke, bis
drei Schritt vor dem dürftig verhangenen Fenster, wo er noch hoch genug stand,
um hineinschauen zu können. Jim stand am Tisch. Auf der Koje hinter ihm lag ein
Stapel Schulhefte, eine Wodkaflasche und ein leeres Glas. Er mußte alles
dorthin geworfen haben, um Platz zu schaffen. Er hielt ein Federmesser in der
Hand, benutzte es aber nicht. Jim hätte nie eine Schnur durchschnitten, wenn es
zu vermeiden war. Das Päckchen war dreißig Zentimeter lang und aus gelbem
Material wie ein Tabaksbeutel. Er öffnete es und zog etwas heraus, das wie ein
englischer Schraubenschlüssel aussah, der in Rupfen gewickelt war. Aber wer
würde einen »Engländer« vergraben, selbst wenn er ihn für den besten Wagen brauchte,
den England je fabriziert hat? Die Schrauben oder Bolzen waren in einem eigenen
gelben Umschlag; er schüttete sie auf den Tisch und prüfte jedes einzelne
Stück. Keine Schrauben: Gewinde. Auch keine Gewinde, aber jetzt waren sie unter
Bills Blickfeld gerutscht. Und auch kein »Engländer«, kein Schraubenschlüssel,
nichts, aber schon absolut nichts für den Wagen.
Roach war
Hals über Kopf hinaufgerannt. Er lief zwischen den
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