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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dame Koenig As Spion (Smiley Bd 5)
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unterwegs sei.« Smiley war wieder in tiefe
Trance verfallen. »Ein Hotel nach dem anderen, eine Stadt nach der anderen, und
nirgends dürfe man auch nur unbefangen mit den Einheimischen sprechen oder von
einem Fremden ein Lächeln entgegennehmen, so hat sie ihr Leben beschrieben. Sie
fand das einen recht erbärmlichen Zustand, Mr. Smiley, wofür Gott und alle
Heiligen und die leere Wodkaflasche neben dem Bett als Zeugen herhalten mußten.
Warum konnte sie nicht sein wie normale Menschen? fragte sie immer wieder.
Warum konnte sie sich nicht der lieben Sonne freuen, wie alle anderen? Sie liebte
Reisen, sie liebte fremde Kinder, warum konnte sie nicht ein eigenes haben?
Ein Kind, das in der Freiheit zur Welt kam, nicht in der Gefangenschaft. Sie
wiederholte ständig: In der Gefangenschaft geboren, freigeboren. >Ich bin
ein fröhlicher Mensch, Thomas. Ich bin ein normales, umgängliches Mädchen. Ich
mag die Menschen: warum muß ich sie betrügen, wenn ich sie liebe?< Und dann
sagte sie, zu ihrem Unglück habe man sie schon vor langer Zeit für eine Arbeit
bestimmt, die eine gefühllose alte Frau aus ihr mache und sie von Gott trenne.
Deshalb habe sie auch einen Schluck trinken müssen und sich ausweinen müssen.
Ihren Mann hatte sie inzwischen ganz vergessen, sie rechtfertigte sich nur noch
für ihren Suff.«
    Wieder
zögerte er. »Ich konnte es wittern, Mr. Smiley. Sie war Gold wert. Hab's vom
ersten Moment an gewittert. Wissen ist Macht, heißt es, Sir, und Irina hatte
diese Macht, genauso wie sie die Fähigkeiten dazu hatte. Sie war vielleicht ein
verrücktes Huhn, aber dennoch - sie konnte ganz und gar in einer Sache
aufgehen. Ich kann die Großzügigkeit in einer Frau spüren, wenn sie vorhanden
ist, Mr. Smiley. Dafür bin ich begabt. Und diese Frau war ganz und gar von
Großzügigkeit durchdrungen. Herrje, wie soll man so ein Gespür beschreiben? Manche
Leute können Wasser unterm Boden riechen . . .«
    Er schien
irgendeine Sympathiekundgebung zu erwarten, also sagte Smiley: »Ich verstehe«
und zupfte sich am Ohrläppchen. Tarr beobachtete ihn mit einem seltsam
erwartungsvollen Gesichtsausdruck und schwieg noch eine ganze Weile. »Am nächsten
Morgen machte ich als erstes die Buchung rückgängig und zog in ein anderes
Hotel«, sagte er schließlich. Smiley öffnete abrupt die Augen: »Was haben Sie
London gesagt?«
    »Nichts.«
    »Warum
nicht.«
    »Vielleicht,
weil ich glaubte, Mr. Guillam würde sagen, >Kommen Sie heim, Tarr<«,
antwortete er mit einem schlauen Blick auf Guillam, der nicht erwidert wurde.
»Wissen Sie, vor langer Zeit, als kleiner Junge, habe ich einmal einen Fehler
gemacht und bin auf ein Lockvöglein reingefallen.«
    »Er hat
sich von einer Polin zum Narren halten lassen«, sagte Guillam. »Ihre Großzügigkeit
hat er auch gespürt.«
    »Ich
wußte, daß Irina kein Lockvogel war, aber ich konnte nicht erwarten, daß Mr.
Guillam mir glauben würde.«
    »Haben Sie
es Thesinger erzählt?«
    »Kein
Gedanke!«
    »Welchen
Grund haben Sie London für Ihre Verspätung angegeben?«
    »Ich hätte
am Donnerstag abfliegen sollen. Ich schätzte, daß mich zu Hause niemand vor
Dienstag vermissen würde. Zumal, da Boris eine taube Nuß war.«
    »Er hatte
keinen Grund angegeben, und die Personalabteilung führte ihn ab Montag unter
>Unentschuldigtes Fehlen<«, sagte Guillam schroff. »Er hat sämtliche
eisernen Regeln gebrochen, und noch ein paar dazu. Mitte der Woche rührte sogar
Bill Haydon die Kriegstrommeln. Und ich mußte es mir anhören«, fügte er
erbittert hinzu.
    Wie dem
auch gewesen sein mochte, Tarr und Irina trafen sich am nächsten Abend wieder.
Desgleichen am übernächsten. Das erste Rendezvous fand in einem Cafe statt und
war eine lahme Sache. Sie mußten sich schrecklich in acht nehmen, nicht gesehen
zu werden, denn Irina war ganz krank vor Angst, nicht nur vor ihrem Mann,
sondern vor den auf die Delegation angesetzten Sicherheitsbeamten, den
Gorillas, wie Tarr sie nannte. Sie wollte nichts trinken und zitterte dauernd.
Am zweiten Abend wartete Tarr immer noch auf ihre Großzügigkeit. Sie fuhren mit
der Tram hinauf zum Victoria Peak, eingekeilt zwischen amerikanischen Matronen
mit weißen Söckchen und Lidschatten. Am dritten mietete er einen Wagen und fuhr
sie in den New Territories herum, bis sie plötzlich das Zittern kriegte, weil
sie so nah an der chinesischen Grenze waren, also mußten sie schleunigst kehrtmachen.
Trotz alledem hatte die Fahrt ihr Spaß gemacht und sie sprach oft

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