Carre, John le
lachend. »Also, da trat nun diese große Pause
ein«, fuhr Smiley fort. »Kaum von Gerstmanns Seite, denn er war ja nur eine
einzige große Pause; vielmehr von meiner Seite. Ich hatte meinen Spruch
aufgesagt, hatte die Fotos vorgezeigt - denen er überhaupt keine Beachtung
schenkte, er schien mir auch so aufs Wort zu glauben, daß das San-Francisco-Netz
aufgerollt war - und nahm diesen und jenen Teil nochmals auf, variierte ein
bißchen und dann saß ich auf dem trockenen. Nun weiß jeder Narr, was passiert,
wenn es einmal so weit ist. Man steht auf und geht: >Es liegt ganz bei Ihnen<,
sagt man. >Wir sprechen uns morgen wieder<; irgend etwas. >Gehen Sie
und überlegen Sie eine Stunde. < Also, ehe ich selber wußte, was ich tat,
hatte ich angefangen, von Ann zu sprechen.« Guillams unterdrückten Ausruf
fegte er vom Tisch. »Nein, nicht über meine Ann, mit
keinem Wort. Über seine Ann. Ich nahm an, er habe eine.
Ich hatte mich, gewiß recht beiläufig, gefragt, woran würde ein Mann in seiner
Lage denken, woran würde ich in seiner Lage denken? Und meine Antwort war
höchst subjektiv: an seine Frau. Nennt man das Projektion oder Substitution?
Ich hasse diese Ausdrücke, aber ich bin überzeugt, daß einer von ihnen hier
zutrifft. Ich habe mein eigenes Problem ihm unterstellt, darauf läuft's
hinaus, und, wie mir jetzt klar ist, ein Verhör mit mir selber angestellt - er
sagte nichts, können Sie sich das vorstellen? - Allerdings ging ich dabei von
gewissen äußeren Anhaltspunkten aus. Er sah aus wie ein
verheirateter Mann; er sah aus wie die
Hälfte eines Ganzen; er sah zu komplett aus, für
jemand, der ganz allein im Leben steht. Außerdem wurde er im Gerstmann-Paß als
verheiratet bezeichnet; und wir alle haben die Angewohnheit, unsere falschen
Lebensläufe oder angenommenen Identitäten der Wirklichkeit zumindest parallel
laufen zu lassen.« Wieder verfiel Smiley in Nachdenken. »Ich habe mir das oft
gedacht. Ich trug es sogar Control vor: wir sollten die Tarnungen der
Gegenseite ernster nehmen, sagte ich. Je mehr Identitäten jemand hat, um so
mehr zeigt sich in ihnen die Person, die darunter steckt. Der Fünfzigjährige,
der von seinem Alter fünf Jahre abzwackt. Der Verheiratete, der sich als
Junggeselle ausgibt; der Vaterlose, der sich zwei Kinder zulegt . . . oder der
Fragesteller, der sich selber in das Leben eines Mannes hineinprojiziert, von
dem er keine Antwort bekommt. Wenige Menschen können ihre eigentlichen
Neigungen verleugnen, wenn sie sich eine andere Persönlichkeit andichten.«
Wiederum verlor er sich in seinen Gedanken, und Guillam wartete geduldig, bis
er zurückkäme. Denn während Smiley sich auf Karla konzentrierte - oder auch
nicht -, konzentrierte Guillam sich auf Smiley und wäre ihm über die längsten
Strecken, auf den verwinkeltsten Pfaden gefolgt, um mit ihm Schritt zu halten
und die Geschichte bis zum Schluß zu hören.
»Außerdem
wußte ich aus den amerikanischen Observanten-Berichten, daß Gerstmann
Kettenraucher war: Camels. Ich ließ ein paar Päckchen besorgen, und ich weiß
noch, wie seltsam es mir vorkam, als ich dem Wärter Geld gab. Wissen Sie, ich
hatte den Eindruck, Gerstmann sehe in der Aushändigung des Geldes von mir an
den Inder etwas Symbolisches. Ich trug damals einen Geldgürtel. Ich mußte
herumgrapschen und einen Geldschein aus einem Bündel ziehen. Unter Gerstmanns
Blick fühlte ich mich wie ein fünftklassiger imperialistischer Unterdrücker.«
Er lächelte. »Und das bin ich ganz gewiß nicht. Bill schon
eher.
Auch
Percy. Aber nicht ich.« Dann nahm er die Erzählung von neuem auf: »Ich fragte
ihn also nach Mrs. Gerstmann.« - Er rief den Jungen herbei und sagte, nur um
ihn aus dem Weg zu schicken: »Bringen Sie uns bitte Wasser. Eine Karaffe und
zwei Gläser. Vielen Dank.«
»Ich
fragte ihn, wo sie sich aufhalte. Eine Frage, die ich in bezug auf Ann liebend
gern beantwortet wüßte. Keine Antwort, die Augen starr. Im Vergleich zu ihm
wirkten die beiden Wärter rechts und links von ihm und ihre Augen lebhaft. Sie
müsse ein neues Leben anfangen, sagte ich; eine andere Möglichkeit gebe es
nicht. Ob er keinen verläßlichen Freund habe, der sich um sie kümmern könne?
Vielleicht könnten wir es ermöglichen, uns heimlich mit ihr in Verbindung zu
setzen? Ich wies ihn darauf hin, daß Mrs. Gerstmann mit seiner Rückkehr nach
Moskau nicht im geringsten gedient wäre. Ich hörte mich selber sprechen, immer
weiter, ich konnte nicht mehr aufhören. Vielleicht
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