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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dame Koenig As Spion (Smiley Bd 5)
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nur daß natürlich nicht daran zu denken
war, ihn als unseren Agenten nach Rußland zurückzuspielen. »Sie haben die
Alternative. Es liegt nur bei Ihnen. Entweder Sie kommen in den Westen, dann
verschaffen wir Ihnen innerhalb vernünftiger Grenzen ein angenehmes Leben. Nach
der Befragung, bei der mit Ihrer Mitarbeit gerechnet wird, können wir Ihnen zu
einem neuen Start verhelfen, einem neuen Namen, Zurückgezogenheit, hinlänglich
Geld. Oder Sie können heimkehren, dann werden Sie vermutlich erschossen oder in
ein Lager verschickt. Im vergangenen Monat waren Bykow, Schur und Muranow an
der Reihe. Warum sagen Sie mir eigentlich nicht, wie Sie wirklich heißen?«
Etwas in dieser Art. Dann lehnte ich mich zurück, wischte mir den Schweiß ab
und wartete, daß er sagen würde >ja, vielen Dank<. Aber das tat er nicht.
Er tat überhaupt nichts. Er sagte kein Wort. Er saß nur da, steif und klein,
unter dem großen Ventilator, der nicht funktionierte, und blickte mich mit
seinen braunen, beinah lustigen Augen an. Seine Hände lagen vor ihm auf dem
Tisch. Sie waren voller Schwielen. Ich erinnere mich, daß ich dachte, ich muß
ihn fragen, wo er so hart gearbeitet hat. Er hatte sie mit den Handfläschen
nach oben auf dem Tisch liegen, die Finger ein bißchen geknickt - so -, als
wären sie noch immer gefesselt.«
    Der Junge,
der glaubte, Smiley wolle mit dieser Geste einen Wunsch andeuten, kam
angetrabt, und Smiley versicherte ihm, daß alles bestens sei und der Wein
geradezu einmalig, er frage sich wahrhaftig, wo sie ihn herhätten; bis der
Junge sich feixend entfernte und seine Serviette auf den Nebentisch klatschen
ließ. »Ich glaube, genau in diesem Augenblick beschlich mich ein ungewöhnlich
starkes Gefühl des Unbehagens. Die Hitze machte mir sehr zu schaffen. Der Mief
war fürchterlich, und ich weiß noch, daß ich auf das Tropf-Tropf der
Schweißperlen lauschte, die von meiner Stirn auf den Eisentisch fielen. Es lag
nicht nur an seinem Schweigen; seine völlige körperliche Unbewegtheit fing an,
mir auf die Nerven zu gehen. Gewiß, ich war schon Überläufern begegnet, die
sich Zeit ließen, ehe sie sprachen. Für einen Menschen, der auf
Verschwiegenheit sogar seinen besten Freunden gegenüber gedrillt ist, kann es
eine schmerzhafte Umstellung bedeuten, wenn er plötzlich den Mund auftun und
seinen Feinden Geheimnisse ausliefern soll. Es kam mir auch in den Sinn, daß
die Gefängnisleute es als ein Gebot der Höflichkeit erachtet haben mochten, ihn
schon ein bißchen mürbe für mich zu machen, ehe sie ihn mir vorführten. Sie
schworen zwar, das sei nicht der Fall, aber man weiß das nie. Also schrieb ich
sein Schweigen zunächst dem Schock zu. Aber diese Unbewegtheit, diese intensive,
lauernde Unbewegtheit war etwas ganz anderes. Zumal, da in meinem eigenen
Inneren alles in Aufruhr war: Ann, mein eigenes Herzklopfen, die Auswirkungen
der Hitze und des Reisens . . .«
    »Das kann
ich verstehen«, sagte Guillam ruhig. »Wirklich? Sitzen ist eine sehr beredte
Sache, das kann ihnen jeder Schauspieler sagen. Wir sitzen je nach unserem
Charakter. Wir recken und spreizen uns, wir ruhen wie Boxer zwischen zwei
Runden, wir rutschten herum, hocken auf der Kante, schlagen die Beine über und
wieder zurück, verlieren die Geduld, verlieren die Ausdauer. Gerstmann tat
nichts von allem. Seine Haltung war endgültig und unbeirrbar, seine kleine
eckige Gestalt glich einem Felsenkap; er hätte den ganzen Tag so dasitzen können,
ohne eine Muskel zu bewegen. Während ich -« Smiley brach in ein linkisches,
verlegenes Lachen aus und probierte aufs neue den Wein, der indessen nicht
besser geworden war. »Während ich dachte, wenn ich nur irgend etwas vor mir
hätte, Papiere, | ein Buch, einen Bericht. Ich glaube, ich bin ein ruheloser
Mensch; schusselig, unbeständig. Jedenfalls damals glaubte ich es. Ich fand,
daß es mir an philosophischer Gelassenheit fehle. Überhaupt an Philosophie,
wenn Sie wollen. Meine Arbeit hatte mir weit mehr zugesetzt, als mir bis dahin
klargeworden war. Nun aber, in dieser stinkenden Zelle, fühlte ich mich
wirklich deprimiert. Mir war, als hätte man mir die ganze Verantwortung für den
Kalten Krieg aufgebürdet. Was natürlich Blech war, ich war einfach erschöpft
und ein bißchen krank.« Er trank wieder. »Glauben Sie mir«, drängte er nochmals
und ärgerte sich über sich selbst, »niemand braucht sich für das zu
entschuldigen, was ich getan habe.«
    »Was haben
Sie denn getan?« fragte Guillam

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