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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Smileys Leute oder Agent in eigener Sache (Smiley Bd 7)
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Durch die
große Windschutzscheibe vorbeiziehende Bäume und Gebäude. Er sah einen
Ruderachter vorüberflitzen, gefolgt von einer einsamen blonden Göttin in einem
Skiff. Brüste wie eine Statue, dachte er. Der größeren Beiläufigkeit wegen
stützte er einen Laufschuh auf die Estrade des Kapitäns. Gebt mir ein Weib,
dachte er verzweifelt, als der Augenblick der Entscheidung kam. Gebt mir meine
Stella, verschlafen und voll Verlangen im Zwielicht des Morgens. Er legte sein
linkes Handgelenk auf die Reling, und sein Blick wich nicht von der Uhr.
    »Wir
putzen hier keine Schuhe«, grollte der Kapitän.
    Hastig
zog der Junge seinen Fuß zurück.
    Jetzt
weiß er, daß ich deutsch spreche, dachte er und fühlte, wie sein Gesicht vor
Verlegenheit brannte. Aber sie wissen es ohnehin schon, dachte er dumpf, denn
wozu sollte ich sonst eine deutsche Zeitung mit mir herumtragen?
    Es
war soweit. Schnell richtete er sich wieder zu seiner vollen Größe auf, drehte
sich zu rasch um und machte sich auf den Rückweg zu seinem Platz. Die
Ermahnung, nicht in die Gesichter zu starren, war jetzt zwecklos, denn die
Gesichter starrten auf ihn, voller Mißbilligung über seinen zwei Tage alten
Bart, seinen Trainingsanzug und seinen irren Blick. Seine Augen verließen ein
Gesicht nur, um auf ein anderes zu treffen. Noch nie in seinem Leben, dachte
er, hatte er einen derartigen Chor von Unwillen gesehen. Seine Trainingsbluse
hatte sich wieder hochgeschoben und gab einen Strich schwarzen Haars frei.
Stella wäscht sie zu heiß, dachte er. Er zog die Jacke wieder hinunter und trat
ins Freie, und jetzt trug er sein Holzkreuz wie einen Orden. Nun geschahen
zwei Dinge auf einmal. Auf der Bank neben dem Korb sah er die erwartete
Kreidemarke. Sie lief knallgelb über zwei Latten und sagte ihm, daß die
Übergabe erfolgreich vonstatten gegangen war. Dieser Anblick erfüllte ihn mit
einem bisher nie gekannten Glücksgefühl; einer Befriedigung von solcher
Vollkommenheit, wie keine Frau sie ihm verschaffen könnte.
    Warum
muß es so und nicht anders vor sich gehen? hatte er den General gefragt; warum
so umständlich?
    Weil
das Objekt einzigartig auf der Welt ist, hatte der General erwidert. Ein
unersetzlicher Schatz. Sein Verlust würde eine Tragödie für die freie Welt
sein.
    Und
er hat mich zu seinem Kurier erwählt, dachte der junge Mann stolz,
obgleich er in seinem Innersten überzeugt war, daß der alte Mann des Guten zuviel
getan habe. Gelassen hob er den gelben Umschlag auf, steckte ihn in seine
Jackentasche, zog den Reißverschluß zu und ließ die Finger darüber gleiten, um
sich zu vergewissern, daß die Krampen ineinander gegriffen hatten. Genau in
diesem Augenblick spürte er, daß er beobachtet wurde. Die Frau an der Reling
stand noch immer mit dem Rücken zu ihm, und wieder bemerkte er, daß sie sehr
hübsche Hüften und Beine hatte. Ihr kleiner Begleiter im schwarzen Mantel
jedoch, der so sexy wirkte, hatte sich umgedreht, und sein Ausdruck tat alle
die Hochgefühle ab, in denen der junge Mann gerade noch geschwelgt hatte. Nur
ein einziges Mal hatte er ein derartiges Gesicht gesehen, damals, als sein
Vater in ihrem ersten englischen Heim im Sterben lag, einem Zimmer in Ruislip,
ein paar Monate nach ihrer Ankunft in England. Der junge Mann hatte nie etwas
so Verzweifeltes, so tief Ernstes, so völlig Schutzloses bei irgend einem
anderen Menschen gesehen. Schlimmer noch, er wußte -genau wie die Ostrakowa es
gewußt hatte -, daß diese Verzweiflung im Widerspruch stand zum natürlichen
Ausdruck dieser Züge, denn sie waren die eines Komödianten - oder, wie die
Ostrakowa es ausgedrückt hatte, eines Magiers. So daß das leidenschaftliche
Starren dieses kleinen scharfgesichtigen Fremden mit seinem wütenden Flehen -
»Junge, du weißt gar nicht, was du da beförderst! Behüte es mit deinem Leben!«
- einen Blick hinter die Maske gewährte.
    Das
Schiff hatte gestoppt. Sie waren am anderen Ufer angelangt. Der junge Mann
packte den Korb, sprang an Land und tauchte, fast im Laufschritt, zwischen den
geschäftigen Käufern von einer Seitenstraße in die andere, ohne zu wissen,
wohin sie führten.
     
    Auf
der ganzen Rückfahrt sah der junge Mann, während das Steuerrad seine Arme
schüttelte und der Motor ihm seinen Takt in die Ohren hämmerte, dieses Gesicht
vor sich auf der nassen Straße und fragte sich, je länger er darüber
nachdachte, ob er sich das alles in der Aufregung der Übergabe nur eingebildet
habe. Wahrscheinlich war die

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