Carre, John le
eigenen Besten, Mikhel.«
»Max, ich verstehe
vollkommen. Ich bin jünger, ein Mann von heute, anpassungsfähig. Der General
war zuweilen impulsiv, Max. Vorkehrungen mußten getroffen werden, manchmal
sogar von denen, die ihn bewunderten, um seinen Tatendrang zu bändigen. Bitte.
Aber für den Mann selbst war es unverständlich. Eine Schmach.«
Hinter sich hörte Smiley Getrampel,
als Elvira verächtlich in ihre Ecke zurückstapfte.
»Wer, glauben Sie, sollte die Reise
für ihn machen?« fragte Smiley und nahm wieder keinerlei Notiz von ihr.
»Willem«, sagte Mikhel mit
offensichtlicher Mißbilligung. »Er sagte es mir nicht ausdrücklich, aber ich
glaube, er schickte Willem. Das war mein Eindruck. Daß Willem fahren würde.
General Wladimir sprach sehr stolz von Willems Jugend und Ehrgefühl. Auch von
seinem Vater. Er stellte sogar einen historischen Bezug her. Er sprach davon,
daß man die neue Generation einsetzen solle, um das Unrecht der alten wieder
gutzumachen. Er war sehr bewegt.«
»Wo hat er ihn hingeschickt? Hat
Wladi irgendeine Anspielung darauf gemacht?«
»Er sagt es mir nicht. Er sagt nur
zu mir: >Willem hat einen Paß, er ist ein braver Junge, ein guter Balte,
seriös, er kann reisen, aber man muß ihn auch beschützen.< Ich bohre nicht.
Ich dränge nicht. Das ist nicht meine Art, Max. Sie wissen das.«
»Aber Sie haben sich doch eine
Meinung gebildet, nehme ich an«, sagte Smiley. »Wie man das eben so tut.
Schließlich konnte Willem ja nicht x-beliebig wohin fahren. Schon gar nicht mit
fünfzig Pfund. Und da war auch noch Willems Arbeit, nicht wahr. Ganz zu
schweigen von seiner Frau. Er konnte nicht einfach ins Blaue fahren, wenn ihm
danach war.«
Mikhel machte eine militärische
Geste. Er schob die Lippen vor, bis sein Schnurrbart fast umgestülpt war und
zupfte mit Daumen und Zeigefinger überlegend an der Nase. »Der General hat auch
nach Karten gefragt. Ich war hin- und hergerissen, ob ich es Ihnen sagen
sollte. Sie sind sein Vikar, Max, aber Sie kämpfen nicht für unsere Sache. Da
ich Ihnen aber vertraue, sage ich es Ihnen.«
»Was für Karten?«
»Straßenkarten.« Er holte mit einer
Hand nach den Regalen aus, als befehle er ihnen, sich zu nähern. »Stadtpläne.
Von Danzig. Hamburg. Lübeck. Helsinki. Die Nordseeküste. Ich frage ihn:
>General, Sir, lassen Sie mich Ihnen helfen<, sagte ich zu ihm.
>Bitte. Ich bin Ihr Assistent für alles. Ich habe ein Recht darauf.
Wladimir. Lassen Sie mich Ihnen helfen.< Er lehnte ab. Er wollte völlig für
sich allein sein.«
Moskauer Regeln, dachte Smiley
wieder. Viele Karten und nur eine von ihnen ist die richtige. Und wieder tat
Wladimir alles, um seine Absichten vor seinem vertrauenswürdigen Pariser Adjutanten
zu verschleiern.
»Worauf er dann ging?« fragte
Smiley.
»Richtig.«
»Um wieviel Uhr?«
»Es war spät.«
»Können Sie sagen, wie spät?«
»Zwei. Drei. Vielleicht sogar vier.
Ich bin nicht sicher.«
Smiley spürte, wie Mikhels Blick
millimeterweise an ihm hoch und über seine Schulter glitt und hinter ihm
verweilte, und ein Instinkt, der ihn zeitlebens nie im Stich gelassen hatte,
ließ ihn die Frage stellen:
»Ist Wladimir allein hierher
gekommen?«
»Natürlich, Max. Wen hätte er
mitbringen sollen?«
Sie wurden durch ein Klirren von
Geschirr unterbrochen, als Elvira am anderen Ende des Raums wieder gewichtig
zur Erfüllung ihrer Pflichten schritt. Smiley wagte nun einen Blick auf Mikhel
und sah, wie er ihr mit einem Ausdruck nachstarrte, den er für den Bruchteil
einer Sekunde erkannte, aber nicht einordnen konnte: hoffnungslos und liebevoll
zugleich, zwischen Abhängigkeit und Abneigung. Bis Smiley schließlich
erkannte, daß er mit krankhaftem Mitgefühl in sein eigenes Gesicht starrte, wie
es ihn zu oft mit rot geränderten Augen aus den hübschen, goldgerahmten
Spiegeln Anns in der Bywater Street angesehen hatte. »Wenn er sich also nicht
von Ihnen helfen lassen wollte, was haben Sie dann getan?« fragte Smiley mit
beflissener Beiläufigkeit. »Sind Sie aufgeblieben und haben gelesen - Schach
gespielt mit Elvira?«
Mikhels braune Augen ruhten einen
Augenblick auf ihm, glitten ab, kamen wieder zu ihm zurück.
»Nein, Max«, antwortete er äußerst
höflich. »Ich hab ihm die Karten gegeben. Er wollte mit ihnen allein sein. Ich
wünschte ihm gute Nacht. Als er ging, schlief ich schon.«
Doch Elvira ganz offensichtlich
nicht, dachte Smiley.
Elvira blieb und wartete auf
Instruktionen von ihrem Vize-Bruder. Aktiv
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