Carre, John le
Ostrakowa hatte trotz allem ihre Entlassung aus dem Krankenhaus
durchgesetzt.
Ob sie denn wenigstens Kinder habe,
die sich um sie kümmern würden, hatten sie gefragt. Oh, gewiß, massenhaft,
sagte sie. Töchter, die ihr den geringsten Wunsch von den Augen ablesen, Söhne,
die sie die Treppe hinauf und hinunter bringen würden! Jede Menge - so viele
sie wollten! Den Schwestern zu Gefallen lieferte sie sogar die Lebensläufe
ihrer Kinder, obwohl ihr der Schädel dröhnte wie eine Kriegstrommel. Sie hatte
sich Kleider besorgen lassen. Ihre eigenen waren in Fetzen, und der liebe Gott
mußte höchst persönlich rot geworden sein, als er sah, in welchem Zustand man
sie aufgelesen hatte. Sie gab eine falsche Adresse an, die zu ihrem falschen
Namen paßte; sie wollte keine Nachbehandlung, keine Besucher. Und um Schlag
sieben Uhr abends wurde die Ostrakowa durch einen reinen Willensakt zur
Ex-Patientin, als sie vorsichtig und äußerst mühsam die Auffahrt des großen,
schwarzen Krankenhauses hinunterging, um dieselbe Welt wiederzufinden, die an
eben diesem Tag alles getan hatte, um sie für immer los zu werden. Sie trug
ihre Stiefel, die wie sie selbst verbeult, aber wunderbarerweise ganz waren;
und sie war mächtig stolz auf die Art, wie sie ihr Halt gegeben hatten. Sie
trug sie immer noch. Im Dämmerlicht ihrer eigenen Wohnung, während sie in
Ostrakows zerschlissenem Sessel saß und sich geduldig mit seinem alten
Armeerevolver plagte, zu ergründen versuchte, wie er sich laden, entsichern
und abfeuern ließ, trug sie ihre Stiefel wie eine Uniform: >Ich bin eine
Einmannarmee. < Am Leben bleiben, das war ihr einziges Ziel, und je länger
ihr dies gelänge, desto größer würde ihr Sieg sein. Am Leben bleiben, bis der
General käme oder ihr den Magier schicken würde.
Ihnen entkommen, wie Ostrakow? Nun,
das hatte sie fertig gebracht. Sie zum Narren halten, wie Glikman, sie in
Ecken drängen, wo ihnen nichts anderes übrig blieb, als ihre eigene Obszönität
zu betrachten. Seinerzeit, erinnerte sie sich wohlgefällig, hatte sie das auch
ein bißchen betrieben. Aber überleben, wie dies keiner ihrer beiden Männer
getan hatte, sich ans Leben klammern, gegen all die Bemühungen dieser
seelenlosen und erdrückenden Welt von stumpfsinnigen Funktionären; ihnen jede
Stunde des Tages ein Stachel im Fleisch sein, nur indem sie lebte, atmete, sich
bewegte, bei Verstand blieb - das, hatte die Ostrakowa entschieden, war eine
Beschäftigung, die ihres Kampfgeists, ihres Glaubens und ihrer beiden Lieben
würdig war. Sie hatte sich sofort mit gebührender Hingabe ans Werk gemacht.
Schon hatte sie diese Närrin von Hausmeisterin zum Einkaufen geschickt: Auch
Kranksein hatte seine guten Seiten.
»Ich habe einen kleinen Anfall erlitten,
Madame« - ob sie eine Herzschwäche, ein Magenübel oder die russische
Geheimpolizei angefallen hatte, band sie der alten Ziege nicht auf die Nase -,
»ich soll ein paar Wochen mit der Arbeit aussetzen und mich schonen - ich bin
erschöpft, Madame -, es gibt Zeiten, da will man nichts als allein sein. Hier
Madame, nehmen Sie - ich weiß, Sie sind keine geldgierige Schnüfflerin.« Madame
la Pierre schloß die Hand um die Banknote und linste nur auf eine Ecke des
Scheins, ehe sie ihn in ihrem Rockbund verschwinden ließ. »Und noch etwas,
Madame, falls jemand nach mir fragt, sagen Sie bitte, ich sei verreist; ich
werde auf der Straßenseite kein Licht machen. Sensible Frauen wie wir haben
schließlich das Recht auf ein bißchen Ruhe, meinen Sie nicht auch? Doch,
Madame, bitte, merken Sie sich diese Besucher und sagen Sie mir, wer es war -
der Gasmann, jemand von der Caritas -, sagen Sie mir alles, es tut mir gut,
wenn ich höre, wie das Leben draußen weitergeht.« Die Concierge kam zu dem
Schluß, daß Maria Ostrakowa verrückt sei, aber ihr Geld war normal, und nichts
mochte die Concierge lieber als Geld, und außerdem war sie selber verrückt. Innerhalb
weniger Stunden war Maria Ostrakowa gerissener geworden, als sie es jemals in
Moskau gewesen war. Der Mann der Concierge kam herauf - gleichfalls ein Bandit,
schlimmer noch als die alte Ziege - und montierte, durch weitere Zahlungen angespornt,
Sperrketten an die Wohnungstür.
Morgen würde er ein Guckloch
anbringen, gegen Bezahlung. Die Concierge versprach, die Post für sie
entgegenzunehmen und zu verabredeten Zeiten herauf zubringen - um Punkt elf Uhr
vormittags, um sechs Uhr nachmittags, zweimal kurz klingeln, -, gegen
Bezahlung. Wenn sie die
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