Carre, John le
Lamellen des winzigen Ventilators in der Toilette
auseinanderbog und auf einen Stuhl stieg, konnte die Ostrakowa jederzeit den
Hof überblicken und sehen, wer kam und ging. Sie hatte an das Lagerhaus
geschrieben, daß sie unpäßlich sei. Ihr Doppelbett konnte sie nicht vom Fleck
rücken, also trug sie Kissen und Federbett zum Diwan und stellte ihn so, daß er
wie ein Torpedo durch die geöffnete Tür des Wohnzimmers direkt auf die Flurtür
zielte. Sie brauchte sich nur noch hinzulegen, die Stiefel gegen den Feind
gerichtet, und genau über die Spitzen hinweg zu feuern, und wenn sie sich dabei
nicht den eigenen Fuß abschoß, so würde sie den Eindringling im ersten
Augenblick der Überraschung erwischen, ehe er sich auf sie stürzen konnte: Sie
hatte alles bedacht. Ihr Schädel dröhnte und tobte, bei jeder jähen
Kopfbewegung wurde ihr schwarz vor den Augen, sie hatte hohes Fieber und war
manchmal einer Ohnmacht nahe. Aber sie hatte alles bedacht, sie hatte ihre Vorkehrungen
getroffen, und bis zur Ankunft des Generals oder des Magiers würde es wieder
ganz so sein wie in Moskau. »Du bist auf dich allein gestellt, du alte Närrin«,
schalt sie sich laut. »Du mußt dir schon selber helfen, also tu's auch.«
Mit einem Foto von Glikmann und
einem von Ostrakow rechts und links von ihr auf dem Boden, und einer Ikone der
Heiligen Jungfrau unter der Bettdecke schickte Maria Ostrakowa sich zu ihrer
ersten Nachtwache an, flehte während der langen Stunden eine Armee von Heiligen
an - nicht zuletzt den heiligen Josef-, sie möchten ihr den Retter schicken,
den Magier.
Niemand klopft mir
eine Botschaft über die Wasserleitung durch, dachte sie. Nicht einmal ein
Wärter kommt, der mich mit Beschimpfungen aufweckt.
12
Es war immer noch derselbe Tag und
kein Ende, kein Bett in Sicht. Nachdem George Smiley die Bibliothek verlassen
hatte, marschierte er eine Weile ziellos dahin. Er war zu müde, zu angespannt,
um sich ans Steuer seines Autos zu wagen, aber immerhin wach genug, um nach
Verfolgern Ausschau zu halten und jene Art vager, aber jäher Haken zu schlagen,
auf die eventuelle Beschatter nicht gefaßt sind. Er kämpfte gegen die Müdigkeit
und versuchte zugleich Dampf abzulassen, wegzukommen vom Dauerstreß seiner
vierundzwanzigstündigen Parforcejagd. Das Embankment sah ihn, und auch ein Pub
an der Northumberland Avenue, wo er sich, abgekämpft und verschmuddelt, einen
großen Whisky genehmigte und hin und her überlegte, ob er nicht Stella anrufen
solle - alles in Ordnung? Dann aber die Nutzlosigkeit des Unterfangens einsah
-, er konnte schwerlich jeden Abend telefonieren und fragen, ob sie und Willem
noch am Leben seien. Also machte er sich wieder auf den Weg und landete
schließlich in Soho, das an Samstagabenden womöglich noch mieser ist als sonst.
Lacon anbohren, dachte er, Schutz für die Familie anfordern. Aber er brauchte
sich nur die Szene auszumalen, um zu wissen, daß nichts dabei herauskommen
würde. Wenn der Circus schon für Wladimir nicht zuständig war, wie konnte er es
dann für Willem sein? Und wie, bitte sehr, sollte man ein Team von Babysittern
auf einen Fernlastfahrer ansetzen, dessen Fahrtziele auf dem Kontinent lagen?
Sein einziger Trost war, daß Wladimirs Mörder anscheinend gefunden hatten, was
sie suchten: daß ihr Bedarf gedeckt war. Doch wie stand es mit der Frau in
Paris?
Wie stand es mit der Schreiberin
der beiden Briefe?
Geh nach Hause, dachte er. Zweimal
tätigte er Scheinanrufe von Telefonzellen aus und überwachte dabei den
Gehsteig. Einmal ging er in eine Sackgasse und krebste wieder zurück, wobei er
auf den huschenden Schritt achtete, auf das Auge, das seinem Blick auswich. Er
erwog, ein Hotelzimmer zu nehmen. Er tat das zuweilen. Nur, um eine Nacht lang
in Sicherheit zu sein. Manchmal war seine Wohnung einfach zu gefährlich für
ihn.
Er dachte an das Negativ: Zeit, die
Schachtel zu öffnen. Als er sich dabei ertappte, wie er instinktiv seinem alten
Amtssitz am Cambridge Circus zustrebte, bog er hastig ostwärts ab und gelangte
schließlich wieder zu seinem Wagen. Wenn er auch das Gefühl hatte, nicht
beobachtet zu werden, so fuhr er doch auf Schleichpfaden nach Bayswater, ohne
eine Sekunde den Rückspiegel aus den Augen zu lassen. Bei einem pakistanischen
Eisenwarenhändler, der alles verkaufte, erstand er zwei Abspülschüsseln aus
Plastik und ein Stück Bilderglas, dreieinhalb auf fünf Zoll; und in einem
Drogeriemarkt, drei Türen weiter, zehn Blatt
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