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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krieg im Spiegel (Smiley Bd 4)
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und kalt und
müde.«
     
    RUPERT BROOKE, »1914«
     
    10. Kapitel
     
    VORSPIEL
     
    Der Humber
setzte Haldane an der Garage ab. »Sie brauchen nicht zu warten. Sie müssen Mr.
Leclerc ins Ministerium bringen.« Er ging mit zögernden Schritten über die
Betonfläche, vorbei an den gelben Zapfsäulen und den im Wind rasselnden
Reklameschildern. Es war Abend, und es würde wohl regnen. Die Garage war klein,
aber sehr gepflegt. Am einen Ende ein Ausstellungsraum, am anderen die Werkstatt,
dazwischen ein turmartiges Gebäude, in dem jemand wohnte. Das Ganze war
übersichtlich angelegt, man hatte viel schwedisches Holz verwendet. Am Turm
leuchtete ein herzförmiges Reklamezeichen, das fortlaufend seine Farbe wechselte.
Irgendwo wimmerte eine Metalldrehbank. Haldane betrat das Büro. Niemand da. Es
roch nach Gummi. Er läutete und begann gequält zu husten. Wenn er hustete,
preßte er manchmal die Hände gegen die Brust, und sein Gesicht verriet dann
die Ergebenheit eines Mannes, der mit dem Schmerz vertraut war. Neben einem
Zettel, der wie eine private Annonce an einem Bretterzaun aussah und auf dem
mit der Hand geschrieben stand: >St. Christopherus und alle deine Engel,
bitte beschütze uns auf der Reise. F.L. <, hingen Kalender mit dürftig bekleideten
Mädchen an der Wand. Am Fenster hing ein Käfig, in dem ein aufgeregter
Wellensittich herumflatterte. Die ersten Regentropfen platschten träge gegen
die Scheibe. Dann kam ein ungefähr achtzehnjähriger Junge mit ölverschmierten
Händen herein. Er trug einen Overall, auf dessen Brusttasche ein rotes Herz und
darüber eine Krone angenäht waren.
    »Guten
Abend«, sagte Haldane. »Bitte verzeihen Sie.
    Ich suche
einen alten Bekannten, einen Freund. Wir haben uns früher gut gekannt. Ein Mr.
Leiser. Fred Leiser. Ich wollte fragen, ob Sie eine Ahnung haben.«
    »Ich hole
ihn«, sagte der Junge und verschwand. Haldane wartete geduldig, während er die
Kalender betrachtete und sich überlegte, ob sie wohl von Leiser selbst oder von
dem Jungen dort aufgehängt worden waren. Als sich die Tür wieder öffnete, stand
Leiser vor ihm. Haldane erkannte ihn von der Fotografie her. Er hatte sich
tatsächlich kaum verändert. Die zwanzig Jahre hatten sich nicht mit kräftigen
Linien, sondern nur an den Augen mit einem feinen Netz von Fältchen in seinem
Gesicht eingezeichnet. Und in Spuren an den Mundwinkeln, die Selbstdisziplin
verrieten. Das indirekte Licht warf keine Schatten auf sein blasses Gesicht,
das auf den ersten Blick nichts anderes als Einsamkeit verriet.
    »Was kann ich für Sie tun?« fragte
Leiser. Es sah beinahe so aus, als stehe er stramm. »'n Tag. Erkennen sie mich
nicht mehr?« Leiser betrachtete ihn mit dem ausdruckslosen und doch
vorsichtigen Gesicht eines Mannes, der aufgefordert worden ist, einen Preis
vorzuschlagen. »Sind Sie sicher, daß Sie mich meinen?«
    »Ja.«
    »Muß lange her sein«, sagte er
schließlich. »Es passiert nicht oft, daß ich ein Gesicht vergesse.«
    »Zwanzig Jahre.« Haldane hustete
um Vergebung heischend.
    »Dann
war's also im Krieg, ja?« Er war ein kleiner, sehr aufrechter Mann. Äußerlich
war er Leclerc nicht unähnlich. Er hätte Kellner sein können. Seine Hemdärmel
waren einmal umgeschlagen, seine Arme dicht behaart. Er trug ein weißes,
teures Hemd. Auf der Brusttasche war ein Monogramm. Er sah wie ein Mann aus,
der an seiner Kleidung nicht spart. Er trug einen goldenen Ring und eine Uhr
mit goldenem Armband. Offenbar legte er großen Wert auf ein gepflegtes
Äußeres. Haldane roch sein Rasierwasser. Er hatte dichtes braunes Haar, dessen
Ansatz in gerader Linie über die Stirn lief. Es war zurückgekämmt und an den
Schläfen leicht gewellt. Er trug keinen Scheitel und wirkte ausgesprochen
slawisch. Obwohl er sich sehr gerade hielt, war etwas Schwankendes an ihm, eine
gewisse Lockerheit der Schultern und Hüften, die die Vermutung nahelegte, daß
er mit der See vertraut war. Es war dieser Punkt, an dem jede Ähnlichkeit mit
Leclerc abrupt aufhörte. Abgesehen von seinem äußeren Erscheinungsbild wirkte
er wie ein sehr geschickter Mann, der sich bei Reparaturen im eigenen Haus,
oder wenn es galt, das Auto an einem kalten Wintermorgen in Gang zu bringen,
durchaus zu helfen wußte. Außerdem sah er wie ein harmloser Mensch aus, wenn
auch wie einer, der viel herumgekommen war. Er trug einen Schottenschlips.
    »Sie erinnern sich sicher an
mich«, bat Haldane. Leiser starrte auf die mageren Wangen mit den hektischen
roten

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