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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eine Art Held (Smiley Bd 6)
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geworfen. Für den ganzen Wohnblock war
Phoebe das Halbblut, das mit dem fetten fremden Teufel schlief. Über den
zerdrückten Kissen hing ein Bild der Schweizer Alpen, ein Bild, das anscheinend
jedes Chinesenmädchen besaß, und auf der Truhe neben dem Bett thronte die
Fotografie ihres englischen Vaters, das einzige Bild, das sie jemals von ihm
gesehen hatte: ein Handlungsgehilfe aus Dorking in Surrey, kurz nach seiner
Ankunft auf der Insel: runder Kragen, Schnurrbart und starre, fast irre Augen.
Craw fragte sich zuweilen, ob das Foto entstand, nachdem sie ihn erschossen
hatten.
    »Jetzt ist alles in Ordnung«, sagte Phoebe. »jetzt geht es mir gut, Bill.«
    Sie stand
neben ihm, goß Wasser in die Vase, wobei ihre Hände stark zitterten, wie
gewöhnlich an Sonntagen. Sie trug Peking zu Ehren eine graue Tunika und das
goldene Halskettchen, das sie zum Andenken an ihr erstes Dienstjahrzehnt yom
Circus bekommen hatte. In einer lächerlichen Anwandlung von Ritterlichkeit
hatte das Head Office beschlossen, es bei Asprey anfertigen und im
Diplomatengepäck befördern zu lassen, zusammen mit einem persönlichen Brief an
sie, unterzeichnet von Percy Alleline, George Smileys glücklosem Vorgänger. Den
Brief hatte sie lesen, aber nicht behalten dürfen.
    Nachdem
sie die Vase gefüllt hatte, wollte sie sie mm Tisch balancieren, aber das
Wasser schwappte über, und Craw nahm sie ihr ab:
    »Hoppla.
Immer mit der Ruhe.«
    Eine Weile
blieb sie stehen und lächelte ihn an, dann sank sie mit einem gedehnten,
erlösenden Schluchzen auf einen Stuhl. Manchmal weinte sie, manchmal nieste sie
oder benahm sich zu laut oder redete zu viel, aber immer hob sie ihre
Gefühlsausbrüche für Craw auf.
    »Bill,
manchmal bekomme ich solche Angst.«
    »Ich weiß,
Liebes, ich weiß.« Er setzte sich neben sie und hielt ihre Hand.
    »Dieser
neue Junge im Feuilleton. Er starrt mich an,
Bill, er beobachtet alles, was ich tue. Ich bin sicher, er arbeitet für
jemanden. Bill, für wen arbeitet er?«
    »Vielleicht
ist er ein bißchen verliebt?« sagte Craw im sanftesten Ton, während er
rhythmisch ihre Schulter tätschelte. »Sie sind eine attraktive Frau, Phoebe.
Vergessen Sie das nicht, meine Liebe. Sie können faszinieren, ohne es selbst zu
wissen.« Er heuchelte väterliche Strenge: »Haben Sie vielleicht mit ihm
geflirtet? Auch so eine Sache. Eine Frau wie Sie kann flirten, ohne sich dessen
bewußt zu sein. Ein Weltmann erkennt das. Er hat es schnell herausgefunden.«
    Vergangene
Woche war es der Pförtner im Erdgeschoß gewesen. Sie sagte, er notiere sich
alles, wann sie komme und gehe. Letzte Woche fiel ihr ein Auto immer wieder
auf, ein grüner Opel. Er mußte darauf bedacht sein, ihre Ängste auszuräumen,
ohne daß ihre Wachsamkeit dadurch nachließe; denn - das durfte Craw nie
vergessen - irgendwann würde sie recht haben. Sie förderte ein Bündel
handgeschriebener Notizen vom Bett her zutage und begann mit ihrer
Berichterstattung so übergangslos, daß Craw sich überrannt fühlte. Sie hatte
ein blasses längliches Gesicht, das bei keiner Rasse als schön gegolten hätte.
Ihr Oberkörper war lang, die Beine waren zu kurz und die Hände
angelsächsisch-häßlich und kräftig. Als sie so auf der Bettkante saß, wirkte
sie plötzlich matronenhaft. Zum Lesen hatte sie eine dicke Brille aufgesetzt.
Kanton schicke am Dienstag einen Studentensprecher zum Führungskader, sagte
sie, daher sei die Donnerstagsversammlung ausgefallen, und Ellen Tuo habe
wieder einmal ihre Chance verpaßt, für einen Abend Schriftführerin zu sein.
»Nun mal langsam«, rief Craw lachend. »Es brennt doch nicht, um Himmels
willen!«
    Er öffnete
ein Notizbuch, legte es auf seine Knie und versuchte ihr zu folgen. Aber Phoebe
war nicht zu bremsen, auch nicht von Bill Craw, von dem man ihr gesagt hatte,
er sei in Wirklichkeit Oberst oder sogar ein noch höheres Tier. Sie wollte die
ganze Beichte hinter sich bringen. Zu ihren Routineobjekten gehörte eine
linksintellektuelle Gruppe von Universitätsstudenten und kommunistischen
Journalisten, die Phoebe ein wenig am Rande geduldet hatten. Sie erstattete
allwöchentlich Bericht, allerdings ohne nennenswerten Fortschritt. Jetzt war
die Gruppe aus irgendeinem Grund jäh aktiv geworden. Billy Chan sei zu einer Sondersitzung
nach Kuala Lumpur berufen worden, sagte sie, Johnny und Belinda Fong hätten
Order erhalten, einen gut getarnten Unterschlupf ausfindig zu machen, in dem
sich eine Druckpresse aufstellen läßt. Schnell

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