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Carre, John le

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Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eine Art Held (Smiley Bd 6)
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richtig sattzuessen
vor der Katastrophe.
    Am
Stadtplatz war nicht viel los an jenem Tag - es war nie viel los -, und das
Mädchen hatte sich kaum hingesetzt, als ihr auch schon so ziemlich jeder normal
gebaute Mann der Stadt seine Aufmerksamkeiten zollte, angefangen beim Kellner,
der »beautiful missus« säuselte, bis zu weit derberen Bemerkungen, deren
genauer Sinn Jerry entging, die jedoch das allgemeine Gelächter auf sie zogen.
Dann versuchte einer, sie in die Brust zu kneifen, worauf Jerry aufstand und zu
ihrem Tisch hinüberging. Er war kein großer Held, er selbst hielt sich eher für
das Gegenteil, aber im Moment gingen ihm eine Menge Gedanken im Kopf herum und
es hätte genausogut Cat sein können, die da belästigt wurde. Sagen wir also:
Ärger. Er ließ die eine Hand auf die Schulter des kleinen Kellners fallen, der
ihr hatte zu nahe treten wollen, und die andere auf die Schulter des großen
Burschen, der diese Mannestat mit Beifall belohnte, und er erklärte ihnen in
schlechtem Italienisch, aber durchaus einleuchtend, daß sie jetzt Schluß machen
müßten mit ihren Belästigungen und die beautiful missus in Ruhe essen lassen.
Andernfalls würde er ihnen die dreckigen Hälse umdrehen. Die Atmosphäre war
danach nicht allzu herzlich, und der Kleine schien es auf eine Keilerei
anzulegen, denn seine Hand wanderte immer wieder zur hinteren Hosentasche und
zerrte am Jackett, bis ihn ein letzter Blick auf Jerry eines Besseren belehrte.
Jerry warf Geld auf den Tisch, nahm ihre Tasche auf, holte seinen Büchersack
und führte sie, trug sie beinah, über den Platz zum Apoll. »Sind Sie
Engländer?« fragte sie im Gehen. »Vom Scheitel bis zur Sohle, Ma'am!« schnaubte
Jerry wütend, und in diesem Augenblick sah er sie zum erstenmal lächeln. Ein
Lächeln, das entschieden einige Mühe wert war: das knochige Gesichtchen
strahlte unter dem Schmutz zu einem breiten, ansteckenden Gassenbubengrinsen
auf.
    Nachdem
Jerry nun ein wenig Dampf abgelassen hatte, fütterte er sie, und mit
zunehmender Beruhigung begann er, die Geschichte weiter auszuspinnen, denn nach
so vielen Wochen im luftleeren Raum war es nur natürlich, daß er etwas bieten
wollte. Er erklärte, er sei abgehalfterter Zeitungsreporter und schreibe jetzt
einen Roman, es sei sein erster Versuch, er erfülle sich damit einen alten
Traum und er habe einen rasch dahinschmelzenden Haufen Geld von einem Blatt
gekriegt, das ihn im Überfluß bezahlte, was ein Witz sei, denn er sei sein
ganzes Leben lang überflüssig gewesen. »Art goldener Händedruck«, sagte er.
Einen Teil habe er für das Haus angelegt, habe eine Weile gefaulenzt, und jetzt
sei nur noch wenig von dem goldenen Segen übrig. Hier lächelte sie zum
zweitenmal. Ermutigt kam er auf die Einsamkeit des schöpferischen Menschen zu
sprechen. »Mein Gott, nicht zu glauben, wieviel Mühe es kostet, bis man's
wirklich, ich meine wirklich rausgeschwitzt
hat, fast wie . . . «
    »Ehefrauen?«,
fiel sie ihm ins Wort. Im ersten Moment hatte er angenommen, sie beziehe sich
auf den Roman. Dann sah er ihre wartenden argwöhnischen Augen und antwortete
vorsichtig: »Keine aktiven«, als wären Ehefrauen Vulkane, was sie in Jerrys
Leben auch gewesen waren. Als sie nach dem Mittagessen leicht angesäuselt über
den leeren Platz zockelten, wo die Sonne ihnen direkt auf die Köpfe knallte,
gab sie ihre einzige Absichtserklärung von sich:
    »Alles,
was ich besitze, ist in dieser Tasche, capito?« sagte sie.
Es war die Schultertasche aus Teppichstoff. »Und dabei will ich auch bleiben.
Soll mir also keiner irgendwas geben, was ich nicht tragen kann. Capito?«
    Als sie
die Bushaltestelle erreichten, blieb sie auch stehen, und als der Bus kam,
stieg sie hinter ihm ein und ließ Jerry ihre Fahrkarte bezahlen, und als sie im
Dorf ausstiegen, kletterte sie mit ihm den Hügel hinauf, Jerry trug seinen
Büchersack und das Mädchen die Schultertasche, und damit hatte sich's. Drei
Nächte und den größten Teil der Tage verschlief sie, in der vierten Nacht kam
sie zu ihm. Er war sowenig auf sie gefaßt, daß er wie immer seine Schlafzimmertür
verschlossen hatte: er war ein bißchen eigen mit Türen und Fenstern, zumal bei
Nacht. So daß sie an die Tür hämmern und schreien mußte: »Ich will in deine
verdammte Falle, Herrgottnochmal!«, bis er endlich aufmachte.
    »Lüg mich
bloß nie an«, warnte sie ihn, als sie in sein Bett kletterte, als feierten sie
ein Fest im Schlafsaal. »Kein Gefasel,  keine Lügen.

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