Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eine Art Held (Smiley Bd 6)
Vom Netzwerk:
weggefahren, sagte sie. Er habe seinen Anzug angehabt. Er trug
eine Reisetasche, seine Schreibmaschine und den Büchersack. Franco habe ihn mit
dem Lieferwagen zum Flugplatz gebracht. Die Waise sei mitgefahren, aber nur bis
an die Zufahrt zur autostrada. Als sie
ausstieg, habe sie nicht einmal auf Wiedersehen gesagt: habe sich einfach an
den Straßenrand gelagert wie der Abfall, der sie ja war. Nachdem sie sie
abgesetzt hatten, sei der Schuljunge eine Weile ganz still und in sich gekehrt
gewesen. Habe kaum auf Francos geschickte und gezielte Fragen geachtet und nur
ständig an seiner graugelben Haarsträhne gezerrt, wie er es oft tat, wenn er
sich langweilte oder  nachdachte. Am Flugplatz hatten sie noch eine Stunde
totzuschlagen, ehe sein Flug aufgerufen wurde, also tranken sie eine Flasche
zusammen und spielten Domino, aber als Franco ihn mit dem Fahrpreis übers Ohr
hauen wollte, habe der Schuljunge ungewöhnlichen Widerstand geleistet und
endlich geschachert wie die wirklich Reichen.
    Franco
habe es ihr erzählt, sagte sie: ihr Busenfreund. Franco, der als Päderast
verschrien war. Hatte sie ihn nicht immer verteidigt, den eleganten Franco, den
Vater ihres schwachsinnigen Sohnes? Sie hatten ihre Meinungsverschiedenheiten
gehabt - wer hätte die nicht? -, aber es möge doch einmal einer kommen und ihr,
wenn er das könne, im ganzen Tal einen aufrechteren, fleißigeren, höflicheren,
besser gekleideten Mann nennen als Franco, ihren Freund und Liebhaber! Der
Schuljunge sei nach Hause gereist, um seine Erbschaft zu kassieren, sagte sie.
     
    Mister
George Smileys bestes Pferd
     
    Nur George
Smiley, sagte Roddy Martindale, ein feister Witzbold aus dem Foreign Office,
konnte sich zum Kapitän eines havarierten Schiffes ernennen lassen. Nur
Smiley, fügte er hinzu, konnte die Miseren einer solchen Ernennung noch
verkomplizieren, indem er sich gleichzeitig von seiner schönen, wenn auch ein
wenig unsteten Ehefrau trennte.
    Auf den
ersten und auch noch auf den zweiten Blick paßte George Smiley für keine der
beiden Rollen, wie Martindale sogleich feststellte. Er war kugelrund und in
Kleinigkeiten hoffnungslos nachgiebig. Aus angeborener Schüchternheit wurde er
gelegentlich bombastisch, und auf Männer von Martindales Temperament wirkte
seine Bescheidenheit wie ein stetiger Vorwurf. Außerdem war er kurzsichtig, und
wer ihn an jenen ersten Tagen nach dem Debakel sah, mit seinen runden Brillengläsern
und im Beamtenzivil, wie er, begleitet von seinem schlanken, schweigsamen
Schildknappen Peter Guillam, leise auf den besonders morastigen Pfaden des
Whitehall-Dschungels dahinwatschelte; oder zu den unmöglichsten Tag- und
Nachtstunden in seinem schäbigen Thronsaal auf der fünften Etage des
edwardianischen Mausoleums am Cambridge Circus, das er jetzt leitete, über
einen Stoß Akten gebeugt saß, der mochte dafürhalten, daß Smiley, und nicht der
tote Haydon, der weiland russische Spion, den Beinamen »Maulwurf« verdiente. Nach
diesen langen Arbeitsstunden in dem höhlenartigen und halb verlassenen Bau
wurden die Säcke unter seinen Augen zu Geschwülsten, er lächelte selten, obwohl
er keineswegs humorlos war, und manchmal schien ihm von der bloßen Mühe des Aufstehens
der Atem zu stocken, stand er dann glücklich aufrecht, so verhielt er eine
Weile mit leicht geöffnetem Mund und stieß ein leises schnarchendes »Ah« aus,
ehe er sich in Bewegung setzte. Wenn er nach alter Angewohnheit seine Brille
zerstreut mit dem breiten Krawattenende polierte, wirkte sein Gesicht so
bestürzend nackt, daß eine sehr altgediente Sekretärin - eine der Damen, die im
Hausjargon »die Mütter« hießen - mehr als einmal von einem kaum noch zu
bändigenden Drang gepackt wurde, aus dem die Psychiater alles mögliche
hergemacht hätten: aufzuspringen und ihn vor der unmöglichen Aufgabe zu beschützen,
die er sich vorgenommen zu haben schien. »George Smiley mistet nicht nur den
Stall aus«, bemerkte der obengenannte Roddy Martindale beim Lunch im Garrick,
»er trägt auch noch sein Pferd selber durchs Ziel. Hah, hah.« Andere Gerüchte,
hauptsächlich von Abteilungen verbreitet, die selbst an einer Übernahme der
angeschlagenen Dienststelle interessiert waren, äußerten sich weniger
respektvoll über seine Arbeit.
    »George
zehrt von seinem Ruf«, sagten sie, nachdem ein paar Monate verstrichen waren.
»Daß er Bill Haydon erwischte, war ein glücklicher Zufall.«
    Und
überhaupt, sagten sie, sei es ein amerikanischer Tip gewesen und

Weitere Kostenlose Bücher