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Carre, John le

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Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eine Art Held (Smiley Bd 6)
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mehr. Nicht das Heulen der Feuerwehr, nicht die
Sirene einer Ambulanz. »Warum sollten sie Ricardo umbringen?« fragte Jerry.
»Voltaire! Ricardo ist mein Freund! Drake Ko ist der Freund meines Vaters!
Diese zwei Alten sind big brothers, kämpfen gemeinsam in irgendeinem- lausigen Krieg in Schanghai vor
ungefähr zweihundertfünfzig Jahren, okay? Ich gehe zu meinem Vater. Ich sag' zu
ihm: >Vater, jetzt mußt du mich einmal lieben. Du mußt aufhören, mich deinen
Spinnenbastard zu nennen und du mußt deinem guten Freund Drake Ko sagen, er
soll Ricardo aus seinem Malheur helfen. Du mußt sagen: >Drake Ko, dieser
Ricardo und mein Charlie, die sind wie Sie und ich, Mr. Ko. Sind Brüder, so wie
wir. Lernen gemeinsam fliegen in Oklahoma, legen gemeinsam die menschliche
Rasse um. Und sie sind sehr gute Freunde. Ja, so ist das.< Mein Vater haßt
mich sehr, okay?«
    »Okay.«
    »Aber er schickt trotzdem einen verdammt langen persönlichen Brief an
Drake Ko.«
    Charlie Marshall holte so tief und so lang Atem, als könnte seine
schmale Brust nicht genug Luft für ihn kriegen. »Diese Lizzie. Tolle Frau,
Lizzie, sie geht selber persönlich zu Drake Ko. Auch auf sehr privater Basis.
Und sie sagt zu ihm: >Mr. Ko, Sie müssen Ric aus seinem Malheur helfen.<
Das hier ist eine sehr kitzlige Situation, Voltaire. Wir alle müssen fest
zusammenhalten, oder wir fallen runter von dem blöden Berg, verstanden?
Voltaire, lassen Sie mich los. Ich bitt' Sie! Ich fleh' Sie direkt an um Gottes
willen, je m'abime, hören Sie? Das ist alles, was ich weiß!« Während Jerry ihn beobachtete,
seinen gequälten Ausbrüchen lauschte, sah, wie er zusammenklappte, einen Anlauf
nahm, wieder schlappmachte und der nächste Anlauf mäßiger ausfiel, hatte er das
Gefühl, Zeuge der letzten Zuckungen eines gemarterten Freundes zu sein. Seine
instinktive Regung war, Charlie langsam weiterzulotsen und ihn abschweifen zu
lassen soviel er wollte. Sein Dilemma war, daß er nicht wußte, wieviel Zeit
noch blieb, bis passierte, was immer mit einem Süchtigen passieren mochte. Er
stellte Fragen, aber meist schien Charlie sie gar nicht zu hören. Dann wieder
beantwortete er offenbar Fragen, die Jerry überhaupt nicht gestellt hatte. Und
manchmal warf ein mit Verzögerung arbeitender Mechanismus die Antwort auf eine
Frage aus, die Jerry längst abgeschrieben hatte. In Sarratt sagten sie, ein
gebrochener Mann sei gefährlich, denn er zahle dir Geld, das er nicht habe, nur
um deine Liebe zu erkaufen. Aber ganze kostbare Minuten hindurch konnte Charlie
überhaupt nichts zahlen.
    »Drake Ko war nie in seinem Leben in Vientiane!« schrie Charlie
plötzlich. »Sie verrückter Voltaire! Ein großer Mann wie Ko und macht sich in
einem asiatischen Drecknest zu schaffen? Drake Ko ist ein Philosoph, Voltaire!
Den Jungen sollten Sie sich genau ansehn!« Wie es schien, war jeder ein
Philosoph - oder jeder, außer Charlie Marshall. »In Vientiane hat niemand auch
nur den Namen Ko gehört! Verstanden, Voltaire?« Dann weinte Charlie Marshall
und ergriff Jerrys Hände und fragte unter Schluchzen, ob Jerry auch einen Vater
gehabt habe. »Ja, altes Haus, hab' ich gehabt«, sagte Jerry geduldig. »Und er
war auf seine Art auch ein General.«
    Zwei weiße Leuchtkugeln ergossen jähes Tageslicht über den Fluß und
lösten in Charlie Marshall die Erinnerung an die Mühsal ihrer gemeinsamen
Anfänge in Vientiane aus. Er setzte sich kerzengerade aufrecht und zeichnete
den Aufriß eines Hauses in den Dreck, Hier haben Lizzie und Ric und Charlie
Marshall gewohnt, sagte er stolz: in einer stinkenden Flohhütte am Stadtrand,
einer so lausigen Bude, daß sogar die Gekkos krank wurden. Ric und Lizzi hatten
die Fürstensuite, will heißen, das einzige Zimmer, das die Flohhütte enthielt,
und Charlies Aufgabe bestand darin, ihnen nicht in die Quere zu kommen und die
Miete zu zahlen und den Schnaps zu besorgen. Aber die Rückschau auf ihre
schrecklich wirtschaftliche Lage bewegte Charlie plötzlich zu einem erneuten Tränenausbruch.
    »Und wovon habt ihr dann gelebt, altes Haus?« fragte Jerry, ohne sich
von der Frage etwas zu erhofften. »Na los. Jetzt ist's vorbei. Wovon habt ihr
gelebt?«
    Noch mehr Tränen, während Charlie eine monatliche Zuwendung von seinem
geliebten und verehrten Vater eingestand.
    »Diese verrückte Lizzie«, sagte Charlie tief bekümmert, »diese verrückte
Lizzie, die macht Trips nach Hongkong für Mellon.« Mit Mühe unterdrückte Jerry
seine Erregung, um Charlie nicht

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