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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eine Art Held (Smiley Bd 6)
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Männer, an den Wänden sah man berühmt gewordene
Ablehnungen und Beispiele für das Wüten der Redakteure; die Luft war erfüllt
vom Gestank alter Druckerschwärze und vom Hauch des Heimwehs nach
Irgendwo-in-England, das jeder Korrespondent im Exil im Herzen trägt. Gleich um
die Ecke war ein Reisebüro, und später stellte sich heraus, daß Jerry während
jener Zeit zweimal Flüge nach Hongkong gebucht hatte und dann nicht am
Flugplatz erschienen war. Er wurde von einem ernsten jungen Vettern namens Pike
betreut, der offiziell an der Pressestelle arbeitete und ihm gelegentlich
Telegramme in gelben Kuverts mit der Aufschrift EILIGE PRESSEINFORMATION ins
Hotel brachte, damit alles authentisch wirken sollte. Aber die Botschaft, die
darin stand, war immer die gleiche: keine Entscheidung, stillhalten, keine
Entscheidung. Er las Ford Maddox Ford und einen wahrhaft gräßlichen Roman über
das alte Hongkong. Er las Greene und Conrad und T. E. Lawrence, und noch immer
kam nichts. Die Bombardierungen klangen bei Nacht am schlimmsten, und die Panik
war überall wie eine um sich greifende Seuche. Auf der Suche nach Stubbsis
Porträts, nicht Prophezeiungen, ging er hinüber zur Amerikanischen Botschaft,
wo an die zehntausend Vietnamesen sich an den Türen drängten, um ihre
amerikanische Staatsangehörigkeit nachweisen zu können. Er sah, wie ein
südvietnamesischer Offizier in einem Jeep ankam, aus dem Wagen sprang und auf
die Frauen einzubrüllen begann, sie Huren und Verräterinnen nannte - offenbar
ließ er seine Wut an einer Gruppe amerikanischer Ehefrauen zur linken Hand aus.
Wiederum lieferte Jerry einen Artikel, und wiederum verwarf Stubbs ihn, was
Jerrys Depression zweifellos noch steigerte. Ein paar Tage später verloren die
Planer im Circus die Nerven. Da die volle Auflösung anhielt und sich noch
beschleunigte, wiesen sie Jerry an, sofort nach Vientiane zu fliegen und dort
unterzutauchen, bis ein Postbote der Vettern ihm anderslautende Orders bringen
würde. Also flog er hin und nahm ein Zimmer im Constellation, wo Lizzie sich so
gern hatte bewundern lassen, und er trank an der Bar, wo Lizzie getrunken
hatte, und gelegentlich plauderte er mit Maurice, dem Besitzer, und im übrigen
wartete er. Die Bar war aus Beton und zwei Fuß unter Straßenniveau, so daß sie
notfalls als Luftschutzkeller oder Geschützstellung dienen konnte. Nebenan, im
trübseligen Speisesaal, saß Abend für Abend ein alter colon allein an einem Tisch, hatte die
Serviette in den Kragen gestopft und tafelte ausgiebig. Jerry saß lesend an
einem anderen Tisch. Sie waren und blieben die einzigen Gäste, und sie
wechselten nie ein Wort. Auf den Straßen patrouillierten die Pathet Lao - die
noch nicht lang von ihren Bergen herabgestiegen waren - in Siegerhaltung immer
zwei und zwei, sie trugen Mao-Mützen und Mao-Röcke und mieden die Blicke der
Mädchen. Sie hatten die Villen an den Straßenecken und die Villen entlang zum
Flugplatz requiriert. Sie kampierten in tadellosen Zelten, deren Spitzen über
die Mauern wuchernder Gärten lugten. »Wird die Koalition halten?« fragte Jerry
einmal Maurice. Maurice war kein politischer Mensch.
    »Wir müssen's nehmen, wie's kommt«, antwortete er in seinem Bühnenfranzösisch
und schenkte Jerry zum Trost einen Kugel; Schreiber mit der Aufschrift »Löwenbräu«. Maurice hatte die Konzession für ganz
Laos, er verkaufte dem Vernehmen nach alljährlich mehrere Flaschen. Jerry mied
gewissenhaft die Straße, in der das Büro von Indocharter lag, und ebenso verbot
er sich, aus reiner Neugier einen Blick auf die Flohhütte am Stadtrand zu
werfen, die, nach Charlie Marshalls Aussage, die menage á trois beherbergt
hatte. Auf Jerrys Frage erwiderte Maurice, es seien zur Zeit nur noch sehr
wenige Chinesen in der Stadt. »Chinesen mögen sie nicht«, sagte er lächelnd und
wies mit dem Kopf auf die Pathet Lao draußen auf dem Gehsteig.
    Bleibt noch das Geheimnis der Aufzeichnungen der Telefongespräche.
Rief Jerry Lizzie vom Constellation aus an oder rief er sie nicht an? Und wenn
er sie anrief, wollte er dann mit ihr sprechen oder nur ihre Stimme hören? Und
wenn er beabsichtigte, mit ihr zu sprechen, was hatte er sich vorgenommen, ihr
zu sagen? Oder genügte schon das bloße Tätigen eines Anrufs - ähnlich dem
bloßen Buchen seiner Hongkong-Flüge - als Katharsis, die ihn von der
Wirklichkeit erlöste?
    Fest steht auf jeden Fall, daß man weder Smiley noch Connie oder sonst
jemandem, der die fraglichen

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