Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eine Art Held (Smiley Bd 6)
Vom Netzwerk:
bis hierher geführt hatten - die russische Goldader, die Fußstapfen von
Karlas Privatarmee, die Gründlichkeit von Haydons Bemühungen, jede Kenntnis von
deren Vorhandensein zu tilgen. Jenseits der Grenzen solcher äußerlichen Gründe
entdeckte Smiley in sich selbst das Vorhandensein eines dunkleren, unendlich
geheimnisvolleren Motivs, eines Motivs, das seine ratio beharrlich verwarf. Er
nannte es Karla. Und es stimmte, daß irgendwo in ihm wie eine uralte Sage die
Glut eines Hasses auf jenen Mann brannte, der ausgezogen war, die Tempel seines
innersten Glaubens zu zerstören, was immer von ihnen übriggeblieben sein
mochte: den Circus, den er liebte, seine Freunde, sein Land, seine Auffassung
von einem vernünftigen Gleichgewicht menschlicher Beziehungen. Es stimmte auch,
daß die beiden Männer einander vor einem Lebensalter oder vor zweien in einem
glutheißen indischen Gefängnis Auge in Auge gegenübersaßen, Smiley und Karla,
jeder auf einer Seite eines eisernen Tisches: obgleich Smiley damals keinen
Grund zu der Annahme hatte, daß er seinem Schicksal gegenübersaß. Karlas Kopf
lag in Moskau schon auf dem Block, Smiley hatte versucht, ihn in den Westen zu
locken, und Karla hatte geschwiegen und den Tod oder Schlimmeres dem bequemen
Überlaufen vorgezogen. Und es stimmte, daß dann und wann die Erinnerung an
diese Begegnung, an Karlas unrasiertes Gesicht und den wachsamen, nach innen
gerichteten Blick aus dem Dämmerlicht seines kleinen Zimmers wie ein
anklagendes Gespenst auf ihn zukam, während er unruhig auf seinem Feldbett schlief.
    Doch Haß
war kein Gefühl, das er beliebig lange nähren konnte, es sei denn, er wäre die
andere Seite der Liebe. Er näherte sich der King's Road in Chelsea. Der Nebel
war hier in der Nähe des Flusses noch dichter. Über ihm hingen die Kugeln der
Straßenlaternen wie chinesische Lampions in den kahlen Ästen der Bäume. Der
Verkehr war spärlich und zögernd. Smiley überquerte die Fahrbahn und folgte dem
Gehsteig, bis er zur Bywater Street kam, in die er einbog: eine Sackgasse mit
sauberen, flachbrüstigen Reihenhäusern. Jetzt trat er behutsamer auf, hielt
sich auf der Westseite und im Schatten der geparkten Autos. Es war die
Cocktailstunde, und hinter Fenstern erkannte er sprechende Köpfe und auf und zu
klappende Münder. Einige kannte er, für einige hatte sie sogar Namen: Felix die
Katze, Lady Macbeth, Der Ausrufer. Er war auf der Höhe seines eigenen Hauses
angekommen. Zur Feier ihrer Rückkehr hatte sie die Läden des Hauses blau
lackieren lassen, und blau waren sie noch immer. Die Vorhänge waren offen, denn
sie haßten es, eingeschlossen zu sein. Sie saß allein an ihrem Sekretär, und
sie hätte das Bild eigens für ihn gestellt haben können: die schöne und
gewissenhafte Ehefrau beschließt ihren Tag, widmet sich verwalterischen
Aufgaben. Sie hörte Musik, und er fing das Echo auf, das der Nebel herübertrug.
Sibelius. Er verstand nicht viel von Musik, aber er kannte alle ihre
Schallplatten und hatte sich mehrmals aus Höflichkeit lobend über Sibelius
geäußert. Er konnte den Plattenspieler nicht sehen, aber er wußte, daß er auf
dem Boden stand, wo er auch für Bill Haydon gestanden hatte, als ihre Affäre
mit Bill Haydon im Gang war. Er überlegte, ob wohl das deutsche Wörterbuch
danebenlag und ihre Anthologie deutscher Dichtung. Sie hatte mehrmals in den
letzten zehn oder zwanzig Jahren, meist in den Perioden ihrer Versöhnung,
demonstrativ Deutsch gelernt, damit Smiley ihr vorlesen könne.
    Während er
sie beobachtete, stand sie auf, durchquerte das Zimmer, blieb vor dem hübschen
vergoldeten Spiegel stehen und richtete ihr Haar. Die Merkzettel, die sie sich
zum eigenen Gebrauch schrieb, steckten im Rahmen. Was mochte es diesmal sein?
dachte er. Garage sprengen. Lunch Madeleine absagen. Fleischer
kleinhacken. Manchmal, wenn es Spitz auf Knopf stand, hatte sie ihm auf
diesem Wege Botschaften zukommen lassen: George zum Lächeln bringen,
unaufrichtiges Bedauern wegen faux pas aussprechen. In
schlimmen Zeiten schrieb sie ihm ganze Briefe und deponierte sie hier für ihn.
    Zu seiner
Überraschung löschte sie das Licht. Dann hörte er die Riegel an der Haustür
vorgleiten. Kette einhaken, dachte er automatisch. Banharn-Schloß, zwei
Umdrehungen. Wie oft muß ich dir noch sagen, jeder Riegel ist so schwach wie
die Schrauben, die ihn halten? Trotzdem sonderbar: irgendwie hatte er angenommen,
sie würde die Riegel offenlassen, falls er zurückkäme. Dann

Weitere Kostenlose Bücher