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Carre, John le

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Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eine Art Held (Smiley Bd 6)
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wichtig genug gehalten
hätte« - fügte er hastig hinzu -, »nur hatten andere Erfordernisse eben Vorrang
für ihn.«
    »Werd's verwinden«,
sagte Jerry und grinste. »Freut mich«, sagte Smiley, dem die Ironie entgangen
war. Er stand auf, füllte die Gläser von neuem, trat dann zum Kamin, nahm einen
Schürhaken aus Messing und begann, nachdenklich in den Kohlen zu stochern.
»Lucca. Ja. Ann und ich waren einmal dort. Oh, es muß schon elf oder zwölf
Jahre her sein. Es hatte geregnet.« Er lachte leise. In einem engen Alkoven am
Ende des Raums konnte Jerry ein schmales knochenhart wirkendes Feldbett sehen
und am Kopfende eine Reihe von Telefonen. »Ich weiß noch, daß wir das bagno besichtigten.
Es war damals die Modekur. Gott allein weiß, was wir kurierten.« Wieder
attackierte er das Feuer, und diesmal schossen die Flammen hoch auf, überzogen
die rundlichen Konturen seines Gesichts mit orangeroten Streifen und machten
goldene Pfützen aus den dicken Brillengläsern. »Wußten Sie, daß der Dichter
Heine dort ein großes Abenteuer erlebte? Eine Romanze? Ich glaube fast, das war
überhaupt der Grund, warum wir hinreisten, ja, so war's wohl. Wir glaubten, es
würde vielleicht abfärben.«
    Jerry
grunzte irgend etwas, er wußte im Moment nicht so ganz genau, wer Heine war.
    »Er
besuchte das bagno, gebrauchte die Kur und begegnete
bei dieser Gelegenheit einer Dame, deren Name allein ihn so beeindruckte, daß
er später auch seine Frau so nannte.« Smiley beschäftigte sich immer noch mit
dem Feuer. »Und Sie hatten dort auch ein Abenteuer, nicht wahr?«
    »Zufallsbekanntschaft.
Nichts Weltbewegendes.« Beth Sanders, dachte Jerry automatisch, als seine Welt
einen Stoß erhielt und dann wieder ins Lot kam. Beth war dafür wie geschaffen.
Vater pensionierter General, High Sheriff der Grafschaft. Die liebe Beth mußte
in jeder geheimen Dienststelle in Whitehall eine Tante sitzen haben.
    Smiley
bückte sich abermals, stellte den Schürhaken in eine Ecke, so behutsam, als
legte er einen Kranz nieder. »Wir sind nicht grundsätzlich gegen Gefühle. Wir
wissen nur gern, wo sie liegen.« Jerry sagte nichts. Smiley warf über die
Schulter hinweg Jerry einen Blick zu, und Jerry rang sich ihm zuliebe ein
Grinsen ab. »Der Name von Heines Herzensdame war, wie ich hier vielleicht
einflechten darf, Mathilde«, fuhr Smiley fort, und aus Jerrys
Grinsen wurde linkisches Lachen. »Nun ja, ich gestehe, auf deutsch klingt es
besser. Und der Roman, wie wird's ihm ergehen? Es wäre mir unangenehm, wenn wir
Ihre Muse verscheucht hätten. Ja, das könnte ich mir wohl nie verzeihen.«
    »Kein
Problem«, sagte Jerry.
    »Beendet?«
    »Nun ja,
Sie wissen ja.«
    Eine Weile
war kein anderes Geräusch zu hören als das Tippen der Mütter und das Brausen
des Verkehrs drunten auf der Straße. »Wir werden Sie entschädigen, wenn diese
Sache vorbei ist«, sagte Smiley. »Doch, doch. Wie ist es bei Stubbs gelaufen?«
    »Kein
Problem«, sagte Jerry wieder.
    »Nichts
mehr, was wir für Sie tun können, um Ihnen die Wege zu ebnen?«
    »Glaube
nicht.«
    Von
draußen, vom Vorzimmer, hörte man ein Gewirr von Schritten, die alle in eine
Richtung strebten. Es ist ein Kriegsrat, dachte Jerry, die Clans sammeln sich.
    »Und Sie
sind entschlossen und so weiter?« fragte Smiley. »Sie sind, ähem, bereit? Willens?«
    »Kein
Problem.« Warum kann ich nicht etwas anderes sagen? fragte er sich. Verdammte
Grammophonnadel ist steckengeblieben.
    »Eine
Menge Leute sind das heutzutage nicht, ich meine willens. Besonders in England.
Eine Menge Leute betrachten den Zweifel als
legitime philosophische Haltung. Sie glauben sich in der Mitte, während sie
natürlich nirgendwo sind. Keine Schlacht ist je von den Zuschauern gewonnen
worden, nicht wahr? Wir in dieser Dienststelle wissen das. Wir haben Glück.
Unser gegenwärtiger Krieg begann neunzehnhundertsiebzehn mit der bolschewistischen
Revolution. Er hat sich bis heute nicht geändert.« Smiley hatte einen neuen
Standort bezogen, auf der anderen Seite des Raums, nicht weit vom Bett entfernt.
Hinter ihm glänzte eine unscharfe Fotografie im Licht des auflodernden Feuers.
Jerry hatte sie beim Hereinkommen gesehen. Jetzt, in der augenblicklichen
Hochspannung, fühlte er sich doppelt gemustert: von Smiley und von den
verschwommenen Augen des Porträts, die hinter dem Glas im Flammenschein
tanzten. Die vorbereitenden Geräusche vervielfachten sich. Sie hörten Stimmen
und kurzes Auflachen und das Knarzen von

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