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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eine Art Held (Smiley Bd 6)
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Comic braucht, da drüben einen Lohnschreiber«,
sagte er und hörte wie der Hörer klappernd auf die Kommode in der Diele fiel.
Eiche, erinnerte er sich. Barleytwist-Beine. Auch eine von Old Sambos Hinterlassenschaften.
    »Daddy?«
    »Hei!«
schrie er, als wäre die Verbindung schlecht, als hätte sie ihn furchtbar überrascht.
»Cat? Hallo, hey, hör zu, altes Haus, hast du meine Briefe und so gekriegt?« Er
wußte es, sie hatte sich regelmäßig in ihren wöchentlichen Briefen an ihn
bedankt. Als er nur wiederum »Daddy«, diesmal mit fragendem Tonfall hörte,
fragte Jerry jovial: »Du sammelst doch noch immer Briefmarken, wie? Nur weil
ich wieder rüberfahre, weißt du. Wo ich schon öfter war Fernost.«
    Flüge
wurden aufgerufen, Landungen gemeldet, ganze Welten tauschten die Plätze, aber
Jerry Westerby, der mit seiner Tochter sprach, blieb regungslos inmitten der
Bewegung.
    »Du warst
doch immer so scharf auf Briefmarken«, erinnerte er sie.
    »Ich bin
siebzehn.«
    »Klar,
klar, und was sammelst du jetzt? Sag nichts. Jungens!« In strahlendster Laune
führte er das Gespräch fort, während er von einem Wildlederstiefel auf den
anderen tanzte, seine Scherze ganz allein machte und ganz allein darüber
lachte. »Paß auf, ich schicke dir Geld, Blatt and Rodney erledigen das, für
Geburtstag und Weihnachten zusammen, frag lieber Mammy, ehe du's ausgibst. Oder
vielleicht Phillie, wie? Ist ein vernünftiger Bursche, was? Schick Phillie los,
für sowas ist er zu haben.« Er öffnete die Tür der Telefonzelle, um künstlichen
Trubel zu erzeugen. »Glaube, sie rufen schon meinen Flug aus, Cat«, bellte er
über das Stimmengewirr hinweg. »Also, benimm dich, hörst du? Paß auf dich auf.
Mach's ihnen nicht zu leicht. Verstehst du, was ich meine?« Eine Weile stand er
Schlange an der Bar, aber im letzten Moment erwachte der alte Fernostmann in
ihm, und er ging hinüber zur Cafeteria. Es konnte eine Weile dauern, ehe er das
nächste Glas frischer Kuhmilch bekommen würde. Während des Anstehens hatte
Jerry das Gefühl, beobachtet zu werden. War nichts Besonderes: in einer
Flughalle beobachtet jeder jeden, also was soll's? Er dachte an die Waise und
wünschte, er hätte Zeit gehabt, sich ein Mädchen zu suchen, ehe er weg mußte,
und wäre es nur, um die unerfreuliche Erinnerung an die notwendige Trennung
loszuwerden.
    Smiley
ging dahin, ein rundlicher kleiner Mann im Regenmantel. Gesellschaftsjournalisten,
qualifizierter als Jerry, die seinen Wandel durch die Umgebung von Charing
Cross kennerisch verfolgt hätten, würden den Typus sofort erkannt haben:
Provinzonkel, wie er im Buch steht, leichte Beute der gemischten Massagesalons
und der Sex-Shops. Diese langen Märsche waren ihm zur Gewohnheit geworden. Mit
seiner wiedergefundenen Energie konnte er halb London durchqueren, ohne es zu
bemerken. Vom Cambridge Circus konnte er, jetzt, da er alle Schleichwege
kannte, zwanzig verschiedene Routen wählen, ohne zweimal die gleiche Straße zu
überqueren. Nachdem er einen Start gewählt hatte, ließ er sich von Glück und
Instinkt leiten, während die andere Hälfte seines Geistes entlegenere Gegenden
seiner Seele plünderte. Aber an diesem Abend zog es ihn in eine bestimmte
Richtung, nach Süden und Westen, und Smiley gab dem Drängen nach. Die Luft war
feucht und kalt, voll rauhen Nebels, der nie die Sonne gesehen hatte. Im
Dahinwandern trug er seine eigene Insel mit sich, und sie war dicht bevölkert
von Bildern, nicht von Menschen. Wie ein zweiter Mantel hüllten die weißen
Mauern ihn in seine Gedanken ein. In einer Türnische flüsterten zwei Mörder in
Lederkluft; unter einer Straßenlaterne hielt ein dunkelhaariger Junge zornig
einen Geigenkasten umklammert. Vor einem Theater brannte eine wartende Menge
in den Flammen der bunten Lichter über dem Vordach, und der Nebel wirbelte um
sie wie Feuerrauch. Nie war Smiley mit so geringem Wissen und so vielen
Erwartungen in den Kampf gezogen. Er fühlte sich verlockt und verfolgt. Doch
wenn er müde wurde und den Schritt verhielt und über die Logik seines Vorhabens
nachdachte, fand er sich kaum zurecht. Er blickte zurück und sah den Rachen des
Scheiterns auf sich warten. Er spähte nach vorn, und sah durch die beschlagene Brille
die Schemen großer Hoffnungen im Nebel tanzen. Er blinzelte um sich und wußte,
daß es hier, wo er stand, nichts für ihn zu sehen gab. Noch schritt er ohne
letzte Überzeugung vorwärts. Es führte zu nichts, die Schritte zu wiederholen,
die ihn

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