Carre, John le
triumphierend einen Vorsprung in der Berichterstattung. Er
hortete noch ein paar Stories für Notzeiten, lungerte an den Abenden im Club
herum und zerquälte sich das Hirn, während er darauf wartete, daß das
Circuskind das Licht der Welt erblickte.. »Herrgottnochmal«, beklagte er sich
bei Craw, »der verdammte Kerl liegt doch praktisch auf dem Präsentierteller.«
»Trotzdem«,
sagte Craw unerbittlich.
Also sagte
Jerry »Yes, Sir«, und fing ein paar Tage danach aus schierer Langeweile an,
seine gänzlich inoffiziellen Nachforschungen über Leben und Lieben von Mr.
Drake Ko, O. B. E., »Steward« des »Royal Hong Kong Jockey Club«, Millionär und
über jeden Verdacht erhabener Bürger, zu betreiben. Nichts Aufsehenerregendes;
nichts was nach Jerrys Auffassung verbotswidrig gewesen wäre; denn der
Außenagent müßte erst geboren werden, der sich nicht irgendwann einmal über die
Grenzen seines Auftrags hinausverirrte. Er begann mit versuchsweisen Vorstößen:
wie Angriffe auf eine verbotene Keksdose. Zufällig hatte er bereits erwogen,
Stubbs eine dreiteilige Serie über die »Reichen und die Superreichen von
Hongkong« vorzuschlagen. Als er eines Tages vor dem Lunch unter den
Nachschlagewerken im Auslandskorrespondenten-Club herumsuchte, tat er es
unwissentlich Smiley gleich und schlug in der letzten Ausgabe von »Who's Who in
Hong Kong« den Passus Ko, Drake auf: verheiratet, ein Sohn, der 1968 starb,
seinerzeit Jurastudent am Grey's Inn, London, aber offenbar nicht erfolgreich;
da sich kein Vermerk über eine Aufnahme in die Anwaltskammer fand. Dann eine
Aufzählung seiner über zwanzig Direktorenposten. Hobbies: Pferderennen, Segeln
und Jade. Für wen galt das nicht? Dann die wohltätigen Einrichtungen, die er
unterstützte, einschließlich einer Baptistenkirche, eines Chiu Chow Spirit
Tempel und des Drake-Ko-Kinderspitals. Nach allen Seiten abgesichert, dachte
Jerry erheitert. Das Foto zeigte die übliche sanftäugige, zwanzigjährige schöne
Seele, reich an Verdiensten und irdischen Gütern, und war im übrigen
unerkennbar. Der Name des toten Sohnes war Nelson, stellte Jerry fest: Drake
und Nelson, britische Admirale. Es wollte ihm nicht aus dem Kopf, daß der Vater
nach dem ersten britischen Seemann getauft sein sollte, der in die chinesischen
Meere vorstieß, und der Sohn nach dem Helden von Trafalgar. Jerry hatte viel
weniger Schwierigkeiten als Peter Guillam, die Verbindung zwischen »China
Airsea« in Hongkong und »Indocharter, Vientiane S. A.« herzustellen, und es
belustigte ihn, als er im Firmenprospekt von »China Airsea« las, die
Gesellschaft betreibe »weitgestreute Handels- und Transportgeschäfte in ganz
Südostasien« - zum Beispiel Reis, Fisch, Elektroartikel, Teak, Immobilien und
Spedition.
Als er
wieder einmal Lukes Büro heimsuchte, ging er einen kühnen Schritt weiter: ein
bloßer Zufall schob ihm den Namen Drake Ko unter die Nase. Zugegeben, er hatte
unter Ko in der Ablagekartei nachgeschlagen. Genau so, wie er ein Dutzend oder
zwanzig andere reiche Chinesen der Kolonie nachgeschlagen hatte; genau so, wie
er die chinesische Bürodame in aller Unschuld gefragt hatte, wer ihrer Meinung
nach die für seine Zwecke am besten geeigneten und exotischsten Millionäre
seien. Und wenn Drake vielleicht auch nicht zu ihren absoluten Favoriten zählen
mochte, so bedurfte es wenig Mühe, ihr den Namen und folglich auch die
dazugehörigen Unterlagen zu entlocken. Wie er Craw bereits geklagt hatte, war
es tatsächlich deprimierend, um nicht zu sagen traumatisierend, einem derart im
Licht der Öffentlichkeit stehenden Mann auf Schleichpfaden nachzuspüren.
Sowjetische Geheimdienstagenten traten, nach Jerrys beschränkter Erfahrung mit
dieser Spezies, normalerweise in bescheidener Gestalt auf. Ko wirkte
vergleichsweise überdimensional. Erinnert mich an Old Sambo, dachte Jerry. Zum
erstenmal drängte sich ihm ein solcher Vergleich auf. Die detaillierteste
Ausbeute bot eine auf Glanzpapier gedruckte Illustrierte namens Goldener
Orient, die inzwischen ihr Erscheinen eingestellt hatte. In einer
der letzten Nummern befaßte sich eine achtseitige Bildreportage, betitelt »Die
Roten Ritter von Nangyang«, mit der wachsenden Zahl von Übersee-Chinesen, die
einträgliche Handelsbeziehungen zu Rotchina unterhielten, gemeinhin als die
fetten Fische bekannt. Nangyang bedeutete, wie Jerry wußte, die Meere südlich
von China; und erweckte in den Chinesen die Vorstellung eines Eldorado des
Friedens und
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