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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eine Art Held (Smiley Bd 6)
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Feuerpfanne: das gleißend weiße Stadion auf der einen Seite, braune
Hügel auf der anderen, während vor Jerry und zu seiner Linken das andere
Hongkong lauerte: ein Kartenhaus-Manhattan aus grauen Wolkenkratzer-Slums, die
so dicht gepfercht sind, daß sie sich in der Hitze aneinanderzulehnen scheinen.
Von jedem der winzigen Balkone ragte ein Bambusstab, als hätte man den Bau mit
Stecknadeln abgestützt; von jedem Stab hingen unzählige Wimpel schwarzer
Kleidungsstücke, als hätte etwas Riesiges gegen das Gebäude gewischt und in
seinem Sog diese Fetzen zurückgelassen. Sofortige Errettung aus Behausungen wie
diesen - das war der Traum, mit dem Happy Valley den Wettlustigen, mit Ausnahme
der verschwindendsten Minderheit, heute winkte. Rechter Hand, von Jerry aus
gesehen, glänzten neuere, stolzere Bauten. Dort, so erinnerte er sich, schlugen
illegale Buchmacher ihre Büros auf und hielten durch ein Dutzend
geheimnisvoller Methoden: Ticker, Walkie-Talkie, Lichtsignale - Sarratt wäre
hingerissen gewesen - den Dialog mit ihren Zuträgern aufrecht. Noch weiter oben
verliefen die Grate kahlgeschorener Hügel, zerfleischt von Steinbrüchen und
entstellt vom Eisenschrott elektronischer Horchanlagen. Jerry hatte irgendwo
gehört, die Radargeräte seien hier für die Vettern installiert worden, damit
sie die Überflüge taiwanischer U-2-Maschinen verfolgen könnten. Über den Hügeln
Ballen weißer Wolken, die keine Witterung jemals zu zerstreuen schien. Und über
den Wolken schmachtete heute der gebleichte chinesische Himmel in der Sonne,
und ein Falke zog langsam seine Kreise. Das alles nahm Jerry in einem einzigen
dankbaren Zug in sich auf.
    Für die
Menge war ziellose Wartezeit. Brennpunkt der Aufmerksamkeit, wenn es überhaupt
einen gab, waren die vier fetten Chinesenfrauen mit fransigen Hakka-Hüten und
schwarzen Pyjamas, die mit Rechen die Rennbahn entlanggingen und das kostbare
Gras neu frisierten, wo die galoppierenden Hufe es verwuschelt hatten. Sie
bewegten sich mit der Würde totaler Gleichgültigkeit: Es war, als drückte der
ganze chinesische Bauernstand sich in ihren Bewegungen aus. Eine Sekunde lang
galt ihnen, wie es die Art der Menschenmengen ist, eine Woge kollektiver
Solidarität, dann waren sie vergessen. Nach dem Wettstand war Clive Portons
Open Space dritter Favorit. Drake Kos Lucky Nelson war unter ferner liefen mit
vierzig zu eins, also gleich Null. Jerry drückte sich an einer Gruppe festlich
gestimmter Australier bis zur Ecke des Balkons, reckte den Hals und äugte
scharf nach unten, über die Kopf reihen hinweg zur Box der Pferdebesitzer, die
vom gewöhnlichen Volk durch ein grünes Eisentor und einen Wachposten getrennt
war. Er hielt die Hand über die Augen, wünschte sich, daß er ein Glas
mitgebracht hätte, und sichtete einen fetten, hart aussehenden Mann mit Anzug
und dunkler Brille, begleitet von einem jungen und sehr hübschen Mädchen. Der
Mann sah halb chinesisch, halb südamerikanisch aus, und Jerry ordnete ihn als
Philippino ein. Das Mädchen war das Beste, was man für Geld bekommen konnte.
Muß bei seinem Pferd sein, dachte Jerry und erinnerte sich an Old Sambo.
Höchstwahrscheinlich am Sattelplatz, letzte Besprechung mit Trainer und Jockey.
    Er
wanderte zurück durch den Speisesaal zur Haupthalle, gelangte zu einer breiten
Hintertreppe, stieg zwei Etagen hinunter und durchquerte einen Vorplatz zur
Zuschauergalerie, die mit einer beträchtlichen und nachdenklichen Chinesenschar
gefüllt war, alles Männer. Sie starrten in ehrfürchtigem Schweigen hinunter auf
eine überdachte Sandgrube, in der sich lärmende Spatzen und drei Pferde
befanden, jedes von seinem ständigen Reitknecht, dem Mafu, geführt. Die Mafus
hielten ihre Schützlinge miserabel, als wären sie krank vor Angst. Der elegante
Captain Grant sah zu, desgleichen ein alter weißrussischer Trainer namens
Sacha, den Jerry gern mochte. Sacha saß auf einem winzigen Klappstuhl, leicht
vorgebeugt, wie beim Angeln. Sacha hatte während der Vertragszeit in Schanghai
mongolische Ponies trainiert, und Jerry konnte ihm nächtelang zuhören: wie
Schanghai damals drei Rennplätze hatte, einen britischen, einen
internationalen, einen chinesischen; wie die britischen Handelsfürsten jeder
seine sechzig, ja hundert Pferde hielten und sie an der Küste auf und ab
transportierten, von einem Hafen zum anderen wie die Irren miteinander in
Konkurrenz lagen. Sacha war ein sanfter philosophischer Bursche mit
träumerischen blauen Augen und

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