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Carre, John le -Ein Mord erster Klasse (Smiley Bd 2)

Carre, John le -Ein Mord erster Klasse (Smiley Bd 2)

Titel: Carre, John le -Ein Mord erster Klasse (Smiley Bd 2) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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haben, sondern überall auf dem Wind hinzureiten und den zerrissenen
Himmel auf Flügeln zu besteigen schien; und Smiley hatte eine Vision der
Verrückten Janie, wie er sie schon früher in der Nacht gesehen hatte, und hörte
in ihrem sinnlosen Schrei wieder den schrecklichen Ton des Irrsinns,. Einen
Augenblick wartete er noch. Das Echo starb. Dann ging er langsam und
erschrocken durch den Schnee zur offenen Tür.
    Zwei
Kerzen und eine Petroleumlampe auf dem kahlen Altar gossen ein trübes Licht
über die winzige Kapelle. Vor dem Altar, auf der Stufe des Heiligtums, saß
Janie und sah vage in ihre Richtung. Ihr ausdrucksloses Gesicht war mit blauen
und grünen Flecken beschmiert, ihre schmutzigen Kleider waren mit Zweigen von
Immergrün durchzogen, und überall vor ihr auf dem Boden lagen die Leichen von
kleinen Tieren und Vögeln.
    Die
Kirchenbänke waren ähnlich mit allen möglichen toten Kreaturen geschmückt; auf
dem Altar lagen zerbrochene Zweige und kleine Haufen von Stechpalmen. Zwischen
den Kerzen stand ein grobgeformtes Kreuz. An Rigby vorbei ging Smiley schnell
den Chorgang hinunter, vorbei an Janes nachlässig dasitzender Gestalt, bis zum
Altar. Einen Moment zögerte er, dann wandte er sich um und rief leise Rigby.
    Auf dem
Kreuz, über seine drei Enden drapiert wie ein plumper Kranz, hing eine Kette
grüner Perlen.
     
    BLUMEN FÜR STELLA
     
    Er
erwachte, das Echo ihres Schreis noch in den Ohren. Er hatte lange schlafen
wollen, aber seine Uhr zeigte erst halb acht. Nun drehte er seine Nachttischlampe
an, denn es war noch halb dunkel, und blickte sich mit Eulenaugen im Zimmer um.
Da waren seine Hosen, über den Stuhl geworfen, unten immer noch feucht vom
Schnee. Da waren seine Schuhe; er würde sich ein neues Paar kaufen müssen. Und
da neben ihm lagen die Notizen, die er sich in den frühen Morgenstunden gemacht
hatte, ehe er schlafen gegangen war, Gedächtnisprotokolle von einigen der
Selbstgespräche der Verrückten Janie, aufgezeichnet auf der Rückfahrt nach
Carne, einer Fahrt, die er nie vergessen würde. Mundy hatte mit ihr auf dem
Rücksitz gesessen. Sie führte Selbstgespräche wie ein Kind, stellte Fragen und
beantwortete sie dann in dem geduldigen Ton eines Erwachsenen, für den sich die
Antworten von selbst verstehen.
    Eine fixe
Idee schien ihren Geist zu erfüllen: sie hatte den Teufel gesehen. Sie hatte
ihn auf dem Winde fliegen sehen, seine silbernen Flügel hinter sich
ausgestreckt. Manchmal belustigte die Erinnerung sie, manchmal blähte sie sie
mit dem Gefühl ihrer eigenen Bedeutung oder Schönheit auf, und manchmal
erschreckte sie sie, so daß sie stöhnte und weinte und ihn bat, sie zu verlassen.
Dann sprach Mundy freundlich mit ihr und versuchte, sie zu beruhigen. Smiley
überlegte, ob sich Polizisten an den Schmutz solcher Dinge gewöhnten, an
Kleider, die nicht mehr waren als stinkende, um erbärmliche Glieder gewickelte
Lumpen, an winselnde Blöde, die sich festklammerten, schrien und weinten. Sie
mußte endlose Nächte auf der Flucht gelebt, ihre Nahrung auf den Feldern und
in den Mülleimern gefunden haben seit der Mordnacht... Was hatte sie in jener
Nacht getan? Was hatte sie gesehen? Hatte sie Stella Rode getötet? Hatte sie
den Mörder gesehen und sich eingebildet, er sei der auf dem Winde fliegende
Teufel? Warum sollte sie das denken? Wenn Janie Stella nicht ermordet hatte,
welcher Anblick hatte sie so erschreckt, daß sie drei lange Winternächte
angstvoll herumgeschlichen war wie ein Tier im Wald? Hatte der Teufel in ihr
Janie ergriffen und ihren Armen Kraft gegeben, als sie Stella niederschlug? War
das der Teufel, der auf dem Winde ritt?
    Aber die
Perlen und der Mantel und die Fußabdrücke, die nicht von ihr stammte - was war
mit denen? Er lag da, dachte nach und kam zu keinem Ergebnis. Endlich war es
Zeit zum Aufstehen: es war der Morgen des Begräbnisses.
    Als er aus
dem Bett stieg, klingelte das Telefon. Es war Rigby. Seine Stimme klang
angestrengt und dringlich. »Ich möchte Sie sprechen«, sagte er. »Können Sie
vorbeikommen?«
    »Vor oder
nach dem Begräbnis?«
    »Vorher,
wenn möglich. Wie wäre es jetzt?«
    »Ich bin
in zehn Minuten bei Ihnen.«
     
    Rigby sah
zum erstenmal, seit Smiley ihn kennengelernt hatte, müde und besorgt aus.
    »Es ist
die Verrückte Janie«, sagte er. »Der Chef meint, wir sollten sie unter Anklage
stellen.«
    »Weswegen?«
    »Mord«,
sagte Rigby trocken und schob eine dünne Akte über den Tisch. »Die alte Närrin
hat etwas zu

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