Carte Blanche - Ein Bond-Roman
und konnte überwältigt werden. Ich habe ihn überprüfen lassen. Er ist ein entflohener Sträfling und wurde wegen Vergewaltigung und Mord verurteilt. Ich könnte ihn an die Behörden übergeben, aber sein Auftauchen hier und heute verschafft mir – und Ihnen – eine günstige Gelegenheit.«
»Wie meinen Sie das?«
»Sie können jetzt gleich Ihren ersten Abschuss als Jäger verzeichnen. Falls Sie diesen Mann erschießen …«
»Nein!«, schrie der Gefangene.
»Falls Sie ihn töten, ist das Beweis genug für mich. Wir nehmen Ihr Projekt in Angriff, und ich heuere Sie zudem an, mir bei meinen anderen Vorhaben behilflich zu sein. Falls Sie sich entscheiden, ihn nicht zu töten, was ich durchaus verstehen könnte, wird Niall Sie zurück zum Haupttor fahren, und unsere Wege trennen sich. So verlockend Ihr Angebot auch sein mag, die Killing Fields zu säubern – ich werde es ablehnen müssen.«
»Ich soll kaltblütig einen Mann umlegen?«
»Die Entscheidung liegt bei Ihnen«, sagte Dunne. »Sie können es auch sein lassen und von hier verschwinden.« Sein irischer Akzent klang barscher als sonst.
Doch was für eine Chance dies war, in Severan Hydts innerste Sphäre vorzudringen! Bond konnte alles über Gehenna erfahren. Ein Leben gegen Tausende.
Und wie es inzwischen aussah, sollte das Ereignis am Freitag nur das erste in einer ganzen Reihe solcher Projekte sein. Wie viele mehr würden dann sterben?
Er musterte das dunkelhäutige Gesicht des Verbrechers, die aufgerissenen Augen, die zitternden Hände.
Bond schaute zu Dunne, trat vor und nahm das Gewehr.
»Nein, bitte!«, flehte der Mann.
Die Wächter stießen ihn auf die Knie und wichen zurück. Der Mann starrte Bond an, dem in diesem Moment zum ersten Mal klar wurde, dass bei einer Erschießung durch ein Exekutionskommando die Augenbinde nicht dem Verurteilten helfen sollte, sondern den Schützen , damit sie ihrem Opfer nicht in die Augen blicken mussten.
»Bitte, nein, Sir!«, rief er.
»Die Waffe ist fertig geladen und gesichert«, sagte Dunne.
War das nur eine Platzpatrone, um ihn zu testen? Oder befand sich überhaupt keine Patrone in der Kammer? Der Dieb trug unter dem dünnen T-Shirt eindeutig keine Schutzweste. Bond wog das Gewehr in der Hand; es hatte ein normales Visier, kein Zielfernrohr. Er schaute zu dem Dieb in etwa zwölf Metern Entfernung und legte an. Der Mann hob die Hände vor das Gesicht. »Nein! Bitte!«
»Wollen Sie näher heran?«, fragte Hydt.
»Nein. Aber er soll nicht leiden«, sagte Bond sachlich. »Verzieht das Gewehr auf diese Distanz nach oben oder unten?«
»Keine Ahnung«, sagte Dunne.
Bond zielte nach rechts auf ein Blatt, das ungefähr genauso weit weg war wie der Gefangene. Er drückte ab. Es gab einen lauten Knall, und in der Mitte des Blattes erschien ein Loch, exakt an der Stelle, auf die er gezielt hatte. Bond lud durch. Die leere Hülse wurde ausgeworfen und eine neue Patrone in die Kammer geschoben. Er zögerte immer noch.
»Worauf warten Sie noch, Theron?«, flüsterte Hydt.
Bond hob die Waffe und zielte erneut auf das Opfer.
Wieder gab es eine Pause. Dann drückte er ab. Ein weiterer Knall – und der Mann wurde nach hinten in den Staub geworfen. Mitten auf seinem T-Shirt breitete sich ein roter Fleck aus.
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»So«, sagte Bond verärgert, öffnete den Verschluss des Gewehrs und warf es Dunne zu. »Nun zufrieden?«
Der Ire fing die Waffe mit seinen großen Händen mühelos auf und blieb so teilnahmslos wie immer. Er sagte nichts.
Hydt hingegen schien erfreut zu sein.
»Gut«, sagte er. »Jetzt lassen Sie uns ins Büro fahren und auf unsere gute Zusammenarbeit anstoßen … und gestatten Sie mir, dass ich mich entschuldige.«
»Wofür? Dass Sie mich gezwungen haben, einen Mann zu töten?«
»Nein, dafür, dass ich Sie habe glauben lassen, Sie würden einen Mann töten.«
»Was?«
»William!«
Der vermeintlich Erschossene sprang grinsend auf.
Bond wirbelte zu Hydt herum. »Aber …«
»Wachsprojektile«, rief Dunne. »Die Polizei benutzt sie beim Training, Filmemacher benutzen sie für Actionszenen.«
»Es war ein gottverdammter Test?«
»Den unser Freund Niall hier sich ausgedacht hat. Es war eine gute Idee, und Sie haben bestanden.«
»Halten Sie mich für einen Schuljungen? Scheren Sie sich zum Teufel.« Bond machte kehrt und stürmte in Richtung Tor davon.
»Halt, warten Sie!« Hydt eilte ihm stirnrunzelnd hinterher. »Wir sind Geschäftsleute. So läuft das nun mal. Wir müssen
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