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Carte Blanche - Ein Bond-Roman

Carte Blanche - Ein Bond-Roman

Titel: Carte Blanche - Ein Bond-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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schnappte mir den Müll aus der besagten Wohnung und versteckte ihn in der Nähe, ohne dass die anderen etwas davon mitbekamen. Abends habe ich die Tüte dann von dort abgeholt, nach Hause mitgenommen und durchwühlt. So ging das wochenlang. Ich inspizierte jeden Brief, jede Konservendose, jede Rechnung, jede Kondomverpackung. Das meiste davon war nutzlos. Doch dann stieß ich auf etwas Interessantes, nämlich auf einen Zettel mit einer Adresse im Osten von London und dem Wort ›hier‹, mehr nicht. Ich hatte so eine Ahnung, was das zu bedeuten hatte. Wissen Sie, ich besserte damals mein Einkommen auf, indem ich die Strände von Brighton oder Eastbourne nach Münzen und Ringen absuchte, wenn die Touristen abends weg waren. Ich hatte einen guten Metalldetektor. Und so bin ich am nächsten Wochenende zu der Adresse gefahren, die auf dem Zettel stand. Es war ein leeres Grundstück, wie ich erwartet hatte.« Hydt hatte sichtlich Spaß an der Geschichte. »Ich brauchte nur zehn Minuten, dann hatte ich die vergrabene Pistole gefunden. Ich kaufte mir ein Set, um Fingerabdrücke zu nehmen, und obwohl ich kein Experte war, schienen die Abdrücke auf Waffe und Zettel übereinzustimmen. Ich wusste zwar nicht genau, wofür die Pistole benutzt worden war, aber …«
    »Aber wieso sollte man sie vergraben, wenn es sich nicht um eine Mordwaffe handelte?«
    »Richtig. Ich ging zu dem Clerkenwell-Kerl. Ich sagte ihm, mein Anwalt habe die Pistole und den Zettel – es gab natürlich keinen Anwalt, aber ich habe gut geblufft. Dann sagte ich, falls ich den Anwalt nicht in einer Stunde anriefe, würde er alles an Scotland Yard schicken. War das ein Wagnis? Sicher. Aber ein kalkuliertes. Der Mann wurde bleich und fragte sofort, wie viel ich verlangen würde. Ich nannte einen Betrag. Er zahlte in bar. Das war mein Startkapital auf dem Weg zu meinem eigenen kleinen Abfallbetrieb, aus dem am Ende Green Way wurde.«
    »Das verleiht dem Begriff ›Recycling‹ eine ganz neue Bedeutung, nicht wahr?«
    »In der Tat«, pflichtete Hydt ihm amüsiert bei. Er nippte an seinem Wein und schaute hinaus auf das Gelände und die Methanflammen in der Ferne. »Wussten Sie, dass es drei vom Menschen erschaffene Phänomene gibt, die man aus dem Weltall mit bloßem Auge erkennen kann? Die Chinesische Mauer, die Pyramiden … und die alte Fresh Kills Deponie in New Jersey.«
    Das hatte Bond nicht gewusst.
    »Für mich ist Müll mehr als ein Geschäft«, sagte Hydt. »Es ist ein Schlaglicht auf unsere Gesellschaft … und auf unsere Seelen.« Er beugte sich vor. »Wissen Sie, wir mögen im Leben ohne eigenes Zutun etwas erlangen – als Geschenk, aus Nachlässigkeit, als Erbe, durch Schicksal, Irrtum, Gier oder Trägheit –, aber wenn wir etwas wegwerfen, dann fast immer aus kalter Berechnung.«
    Er trank einen Schluck Wein. »Theron, wissen Sie, was Entropie ist?«
    »Nein, weiß ich nicht.«
    »Entropie ist die grundlegende Wahrheit der Natur«, sagte Hydt und ließ seine langen gelben Fingernägel klicken. »Es ist die Neigung zu Zerfall und Unordnung – in der Physik, der Gesellschaft, der Kunst, in lebenden Wesen … in allem. Es ist der Pfad zur Anarchie.« Er lächelte. »Das klingt pessimistisch, aber das ist es nicht. Es ist die wunderbarste Sache der Welt. Die Wahrheit anzuerkennen, kann nie falsch sein. Und es ist die Wahrheit.«
    Sein Blick fiel auf ein Basrelief. »Wissen Sie, ich habe meinen Namen geändert.«
    »Aha«, sagte Bond und dachte: Maarten Holt.
    »Ich habe ihn geändert, weil mein Nachname der meines Vaters war und mein Vorname von ihm ausgesucht wurde. Und ich wollte jegliche Verbindung zu ihm loswerden.« Ein kühles Lächeln. »Wegen der Jugend, von der ich gesprochen habe. Für ›Hydt‹ habe ich mich entschieden, weil darin die dunkle Seite der Hauptfigur aus Dr. Jekyll und Mr. Hyde mitschwingt. Ich habe die Erzählung in der Schule gelesen und sie sehr gemocht. Wissen Sie, ich glaube, wir alle haben eine öffentliche und eine dunkle Seite. Das Buch hat das bestätigt.«
    »Und ›Severan‹? Das ist ein ungewöhnlicher Vorname.«
    »Würden Sie im zweiten und dritten Jahrhundert nach Christus in Rom leben, fänden Sie das ganz und gar nicht.«
    »Nein?«
    »Ich habe Geschichte und Archäologie studiert. Wenn man das alte Rom erwähnt, Theron, woran denken die meisten Leute? An die julisch-claudische Dynastie. Augustus, Tiberius, Caligula, Claudius und Nero. Zumindest denken die Leute das, falls sie Ich, Claudius gelesen oder

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