Carte Blanche - Ein Bond-Roman
und ließen die bebrillten Blicke durch den Raum schweifen, bis sie ihr Ziel erspähten. M musste unwillkürlich an das Komikerduo The Two Ronnies denken und bekam das Bild nicht mehr aus dem Kopf. Als die beiden sich ihm nun näherten, hatten ihre Mienen allerdings nichts Heiteres an sich.
»Miles«, begrüßte ihn der Ältere. Er hieß Sir Andrew mit Vornamen, was perfekt zu seinem vornehmen Gesicht und der silbernen Mähne passte.
Der andere, Bixton, nickte ihm zu. Auf seiner fleischigen Glatze spiegelte sich das Licht des verstaubten Kronleuchters. Er atmete schwer. Genau genommen rangen sie beide nach Luft.
M forderte sie zwar nicht dazu auf, aber sie setzten sich trotzdem – auf das edwardianische Sofa jenseits des Teetabletts. Er hätte am liebsten eine Zigarre aus seinem Aktenkoffer genommen und darauf herumgekaut, entschied sich aber gegen das Requisit.
»Wir kommen gleich zur Sache«, sagte Sir Andrew.
»Wir wissen, dass Sie zu der Sicherheitskonferenz zurückmüssen«, warf Bixton ein.
»Wir waren gerade beim Außenminister. Er ist zurzeit im Plenarsaal.«
Das erklärte das Keuchen. Sie konnten nicht mit dem Wagen vom Unterhaus hergekommen sein, da man Whitehall von der Horse Guards Avenue bis kurz hinter die King Charles Street vollständig abgeriegelt hatte, damit die Sicherheitskonferenz in, nun ja, Sicherheit stattfinden konnte.
»Vorfall Zwanzig?«, fragte M.
»Ganz recht«, sagte Bixton. »Wir versuchen außerdem, den Chef von Six aufzutreiben, aber diese verdammte Konferenz …« Er gehörte dem Joint Intelligence Committee erst seit Kurzem an und schien plötzlich zu begreifen, dass er vielleicht nicht ganz so unverblümt über diejenigen herziehen sollte, die seine Mittel bewilligten.
»… ist eine verdammte Plage«, beendete M den Satz für ihn. Er hatte kein Problem damit, offen seine Meinung zu sagen, wenn es angebracht war.
Sir Andrew übernahm. »Defence Intelligence und GCHQ melden für die letzten sechs Stunden eine rapide SIGINT -Zunahme in Afghanistan.«
»Nach übereinstimmender Meinung hat es mit Vorfall Zwanzig zu tun.«
»Irgendwas Konkretes über Hydt, Noah oder Tausende von Toten?«, fragte M. »Niall Dunne? Armeestützpunkte in March? Sprengladungen oder Bomben? Ingenieure in Dubai? Entsorgungs- und Recyclingbetriebe in Kapstadt?« M las jeden Rapport, der über seinen Tisch wanderte oder sein Mobiltelefon erreichte.
»Das können wir noch nicht sagen«, antwortete Bixton. »Der Donut hat die Codes noch nicht geknackt.« Das GCHQ -Hauptgebäude in Cheltenham besaß die Form eines dicken Ringes. »Die Verschlüsselungsalgorithmen sind offenbar brandneu. Das hat alle kalt erwischt.«
»Die SIGINT da drüben steigt immer mal an«, murmelte M und winkte ab. Er hatte früher in sehr, sehr hoher Position beim MI6 gearbeitet und war berühmt dafür, dass er wie kein Zweiter nachrichtendienstliche Meldungen nicht nur filtern, sondern auch in direkte Handlungsanweisungen umsetzen konnte.
»Stimmt«, pflichtete Sir Andrew ihm bei. »Aber meinen Sie nicht auch, dass es ein zu großer Zufall wäre, wenn all diese Anrufe und E-Mails sich ausgerechnet am Tag vor Vorfall Zwanzig häufen sollten?«
Nicht unbedingt.
»Und bislang hat niemand einen direkten Zusammenhang zwischen Hydt und der Bedrohung herstellen können«, fuhr er fort.
Mit »niemand« war 007 gemeint.
M sah auf die Uhr. Sie hatte seinem Sohn gehört, einem Soldaten des Royal Regiment of Fusiliers. Die Konferenz sollte in einer halben Stunde weitergehen. Er war erschöpft, und der morgige Freitag würde sogar noch länger dauern und in ein ermüdendes Abendessen münden, gefolgt von einer Rede des Innenministers.
Sir Andrew bemerkte den nicht gerade subtilen Blick auf die verschrammte Armbanduhr. »Kurz und gut, das JIC ist der Meinung, dass dieser Severan Hydt in Südafrika lediglich eine Ablenkung darstellt. Womöglich hat er irgendwie mit Vorfall Zwanzig zu tun, aber er ist keiner der Hauptakteure. Die Leute von Five und Six glauben, dass die wirklichen Drahtzieher in Afghanistan sitzen und dass auch dort der Anschlag stattfinden wird: auf das Militär, eine Hilfsorganisation oder irgendwelche Vertragspartner.«
Das war jedenfalls das, was sie sagten – was auch immer sie in Wahrheit glauben mochten. Das Abenteuer in Kabul hatte Milliarden von Pfund und viel zu viele Leben gekostet; je mehr Bösewichte man dort fand, um das Eindringen zu rechtfertigen, desto besser. M war sich dessen vom ersten Moment der
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