Carte Blanche - Ein Bond-Roman
… Bitte verzeihen Sie die Störung, ich bin gleich wieder weg …
Er war bereit, die Person, die ihm die Tür öffnete, notfalls mit Gewalt zu überrumpeln. Er rechnete zudem mit einem bewaffneten Posten – er hoffte sogar auf einen, denn dann hätte er den Mann um seine Pistole erleichtern können.
Doch es tat sich gar nichts. Anscheinend hatte auch hier das Personal einen Tag freibekommen.
Daher musste Bond auf Plan B zurückgreifen, der etwas weniger simpel ausfiel. Am Vorabend hatte er Sanu Hirani die Fotos der Sicherheitstür geschickt. Der Leiter der Abteilung Q hatte gemeldet, das Schloss sei nahezu unbezwingbar. Es würde Stunden dauern, es zu hacken. Er und sein Team würden sich eine andere Lösung einfallen lassen.
Wenig später hatte Bond die Nachricht erhalten, Hirani habe Gregory Lamb erneut auf Einkaufstour geschickt. Er würde Bond am Morgen alles Notwendige aushändigen, einschließlich einer schriftlichen Erläuterung, wie die Tür zu öffnen sei. Das war es, was der MI6 -Agent ihm in Bheka Jordaans Büro gegeben hatte.
Bond sah sich zur Sicherheit noch einmal um und machte sich dann an die Arbeit. Aus der Innentasche seines Jacketts brachte er ein Stück Angelschnur zum Vorschein, belastbar bis neunzig Kilo. Sie war aus Nylon und konnte vom Metalldetektor nicht erfasst werden. Bond schob nun das eine Ende durch den schmalen Spalt an der Oberkante der Tür und weiter, bis es auf der anderen Seite den Boden erreicht hatte. Er trennte einen Streifen Pappe vom rückwärtigen Karton des Notizblocks ab und riss ihn seitlich ein, sodass ein j-förmiger provisorischer Haken entstand. Den schob er unter der Tür hindurch, bis es ihm gelang, das Ende der Angelschnur zu erwischen und nach draußen zu ziehen.
Mit einem dreifachen Chirurgenknoten band er die beiden Enden zusammen. Somit war die Tür vollständig von einer Schlinge umgeben. Mit Hilfe eines Kugelschreibers drehte er diese riesige Aderpresse nun immer fester zu.
Die Nylonschnur spannte sich mehr und mehr … und drückte den türbreiten Entriegelungsgriff auf der Innenseite immer weiter nach unten. Schließlich trat das ein, was Hirani als »höchstwahrscheinlich« vorhergesagt hatte: Die Tür ging einfach auf, als hätte ein Angestellter den Griff hinuntergedrückt, um den Raum zu verlassen. Die Brandschutzbestimmungen verboten, solche Türen auch von innen mit Tastenfeldern zu sichern.
Bond betrat den dunklen Raum, entfernte die Angelschnur von der Tür und steckte sie wieder ein. Dann schloss er die Tür, schaltete das Licht ein und sah sich in dem Labor um. Er suchte nach Telefonen, Funkgeräten oder Waffen. Vergeblich. Es gab ein Dutzend Computer, sowohl Tischgeräte als auch Laptops, aber die drei, die er hochfuhr, waren alle durch Passwörter geschützt. Er sparte es sich, die anderen auszuprobieren.
Entmutigenderweise türmten sich auf den Schreib- und Arbeitstischen Tausende von Dokumenten und Aktenordnern, und auf keinem stand das praktische Wort »Gehenna«.
Bond wühlte sich durch zahllose Blaupausen, Diagramme, Tabellen und schematische Zeichnungen. Einige hatten mit Waffen und Sicherheitssystemen zu tun, andere mit Fahrzeugen. Keine der Unterlagen beantwortete die drängenden Fragen, wer sich in York in Gefahr befand und wo genau die Bombe steckte.
Dann endlich fand er einen Ordner, auf dem »Serbien« stand, klappte ihn auf und überflog den Inhalt.
Bond erstarrte. Er traute seinen Augen nicht.
Dies waren Fotos aus der Leichenhalle des alten britischen Armeelazaretts in March. Auf einem der Tische stand eine Waffe, die eigentlich gar nicht existierte. Inoffiziell hieß sie »Cutter«. Der MI6 und die CIA argwöhnten, dass die serbische Regierung an der Entwicklung arbeitete, aber bislang hatte man keine Beweise dafür finden können, dass sie tatsächlich jemals gebaut worden war. Es handelte sich dabei um eine Hochgeschwindigkeitssplitterbombe, in der man regulären Sprengstoff mit festem Raketentreibstoff angereichert hatte, um mittels der Explosion Hunderte kleiner Titanklingen auf fast viertausendachthundert Kilometer pro Stunde zu beschleunigen.
Die Wirkung des Cutters war dermaßen grauenhaft, dass die UN und mehrere Menschenrechtsorganisationen ihn schon aufgrund des Gerüchts über seine Entwicklung geächtet hatten. Serbien bestritt eisern, dass es an einem Cutter arbeitete, und niemand – nicht mal die Waffenhändler mit den besten Beziehungen von allen – hatten je eine solche Vorrichtung zu Gesicht
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