Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Carte Blanche - Ein Bond-Roman

Carte Blanche - Ein Bond-Roman

Titel: Carte Blanche - Ein Bond-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
Vom Netzwerk:
Frau.
    Hydt starrte die sich lösende Haut an, die herausstehenden Knochen, die Spuren von Insekten- und sonstigem Tierfraß an den Fleischresten. Sein Herzschlag beschleunigte sich.
    »Ihr behaltet das für euch«, sagte er zu den zwei Arbeitern.
    Die beiden werden den Mund halten.
    »Ja, Sir.«
    »Gewiss, Sir.«
    »Wartet da drüben.«
    Sie trollten sich. Hydt schaute zu Dennison, der nickend bekräftigte, dass die Männer gehorchen würden. Hydt bezweifelte es nicht. Er leitete Green Way eher wie einen Militärstützpunkt als wie eine Mülldeponie und Recyclingfirma. Die Sicherheitsvorschriften waren strikt – Mobiltelefone waren verboten, alle ausgehenden Gespräche wurden überwacht –, und es herrschte strenge Disziplin. Zum Ausgleich bezahlte Severan Hydt seine Leute sehr, sehr gut. Die Geschichte lehrte, dass Profis viel verlässlicher waren als Amateure, vorausgesetzt, man besaß das nötige Kleingeld. Und daran hatte es bei Green Way noch nie gemangelt. Die Entsorgung dessen, was die Leute nicht mehr wollten, war seit jeher ein profitables Geschäft gewesen und würde es auch stets sein.
    Hydt hockte sich nun allein neben die Leiche.
    Es wurden hier immer mal wieder menschliche Überreste gefunden. Die Arbeiter der Abteilung für Bauschutt und Rodungsreste stießen in alten Fundamenten bisweilen auf Knochen aus viktorianischer Zeit oder vertrocknete Skelette. Oder ein Obdachloser starb an Witterungseinflüssen, Alkohol oder Drogen und wurde unsanft in eine Mülltonne geworfen. Manchmal handelte es sich um Mordopfer – aber dann waren die Täter meistens so freundlich und brachten die Leichen direkt hierher.
    Hydt meldete die Toten nie. Die Anwesenheit der Polizei war das Letzte, was er gewollt hätte.
    Außerdem – wieso sollte er auf einen solchen Schatz verzichten?
    Er rückte näher an die Leiche heran, bis seine Knie sich gegen das pressten, was von der Jeans der Frau übrig war. Der Geruch der Fäulnis – wie bittere, nasse Pappe – wäre den meisten Leuten unangenehm gewesen, aber Hydt hatte schon sein ganzes Leben mit Abfall zu tun und fühlte sich dadurch ebenso wenig abgestoßen wie ein Automechaniker sich am Schmieröl stört oder ein Schlachter am Blut und an den dampfenden Eingeweiden.
    Dennison, der Vorarbeiter, hielt jedoch einigen Abstand.
    Hydt streckte die Hand aus und strich mit einem seiner gelben Nägel über die Schädeldecke, auf der das meiste Haar fehlte, dann über den Kiefer und die Fingerknochen, die während der Verwesung als Erstes freigelegt wurden. Ihre Nägel waren ebenfalls lang, aber nicht etwa, weil sie noch nach dem Tod weitergewachsen wären; das war ein Märchen. Sie schienen lediglich länger zu sein, weil das Fleisch unter ihnen eingeschrumpft war.
    Er musterte seine neue Freundin eine Weile und zog sich dann widerstrebend zurück. Hydt sah auf die Uhr. Er holte sein iPhone aus der Tasche und schoss ein Dutzend Fotos von der Leiche.
    Dann schaute er sich um und zeigte auf einen freien Fleck zwischen zwei großen Müllhalden, die wie Hügelgräber für Phalangen gefallener Soldaten wirkten. »Weisen Sie die Männer an, sie dort zu begraben.«
    »Ja, Sir«, erwiderte Dennison.
    »Nicht zu tief«, sagte Hydt und ging zurück zu dem Kleinbus. »Und markieren Sie die Stelle, damit ich Sie wiederfinden kann.«
    Eine halbe Stunde später saß Hydt in seinem Büro und scrollte gedankenverloren durch die Bilder, die er von der Leiche angefertigt hatte. Als Schreibtisch diente ihm eine dreihundert Jahre alte Zellentür mit angeschraubten Beinen. Schließlich steckte er das Telefon ein und richtete den Blick seiner dunklen Augen auf andere Dinge. Und davon gab es viele. Green Way zählte zu den weltweit führenden Entsorgungs- und Recyclingunternehmen.
    Das Büro war geräumig und nur gedämpft beleuchtet. Es lag in der obersten Etage von Green Ways Firmenzentrale, einem ehemaligen Fleischverarbeitungsbetrieb, erbaut 1896, renoviert und von schäbigem Schick, wie ein Innenausstatter es vielleicht ausdrücken würde.
    An den Wänden hingen Relikte aus Gebäuden, die Hydts Firma niedergerissen hatte: Fensterrahmen mit abblätternder Farbe und geborstenem Buntglas, Wasserspeier aus Beton, Tierfiguren, Bildnisse, Mosaiken. Der heilige Georg und der Drache kamen mehrere Male vor, ebenso die heilige Johanna. Ein großes Basrelief zeigte Zeus in der Gestalt eines Schwans, der sich mit der schönen Leda vergnügte.
    Hydts Sekretärin kam und ging mit Briefen, die er

Weitere Kostenlose Bücher