Carte Blanche - Ein Bond-Roman
er da oben gewollt?«, fragte er.
Dunne überlegte. »Wahrscheinlich wollte er den Abriss irgendwie sabotieren. Etwas läuft schief, Sie bekommen schlechte Publicity, und Midlands springt ein, um Ihnen ein paar Kunden abspenstig zu machen.«
»Demnach wollte der Fahrer des Bentley bloß herausfinden, was gestern mit seinem Kumpel geschehen ist.«
»Richtig.«
Hydt war ungemein erleichtert. Der Zwischenfall hatte nichts mit Gehenna zu tun. Und was noch wichtiger war: Der Eindringling gehörte nicht zur Polizei oder dem Security Service, sondern bloß zur Unterwelt. »Gut. Um Midlands kümmern wir uns später.«
Hydt und Dunne kehrten zu Jessica zurück. »Niall und ich müssen noch etwas erledigen. Zum Abendessen bin ich wieder da.«
»Ich glaube, ich mache einen Spaziergang«, sagte sie.
Hydt runzelte die Stirn. »In dieser Hitze? Das könnte dir nicht gut bekommen.« Es gefiel ihm nicht, wenn sie sich zu viel herumtrieb. Dabei fürchtete er nicht, dass sie etwas hätte ausplaudern können – er hatte alle Aspekte von Gehenna vor ihr verborgen gehalten. Und was sie sonst noch von seinem Leben wusste, tja, das war zwar potenziell peinlich, aber nicht illegal. Doch wenn er sie wollte, dann wollte er sie nun mal, und Severan Hydt war jemand, dessen Glaube an die unausweichliche Macht des Verfalls ihn gelehrt hatte, dass das Leben viel zu kurz und gefährlich war, um sich ein Vergnügen zu versagen, und sei es auch nur für einen kurzen Zeitraum.
»Das kann ich selbst beurteilen«, sagte sie, wenngleich zaghaft.
»Sicher, sicher. Es ist nur … eine Frau allein? Du weißt doch, wie Männer sein können.«
»Meinst du die Araber?«, fragte Jessica. »Das hier ist nicht Teheran oder Dschidda. Die grinsen nicht mal anzüglich. Die Männer in Dubai verhalten sich respektvoller als die Männer in Paris.«
Hydt lächelte mild. Das war lustig. Und wahr. »Trotzdem … meinst du nicht, man sollte gar nicht erst das Risiko eingehen? Das Hotel hat jedenfalls einen herrlichen Wellnessbereich. Der wird dir bestimmt gefallen. Der Pool ist zum Teil aus Plexiglas. Du schaust nach unten und siehst den Boden zwölf Meter unter dir. Und der Anblick des Burj Khalifa ist ziemlich beeindruckend.«
»Das glaube ich gern.« Sie musterte das hohe Blumengesteck.
In diesem Moment fielen Hydt rund um ihre Augen neue Fältchen auf. Er musste außerdem an die Frauenleiche denken, die tags zuvor in dem Müllcontainer gelegen hatte und deren Grab nun unauffällig markiert war, wie Jack Dennison, der Vorarbeiter, ihm mitgeteilt hatte. Hydt spürte, wie sich in ihm etwas regte, als würde sich eine Sprungfeder lösen.
»Solange du glücklich bist«, sagte er sanft und strich ihr mit einem seiner langen Fingernägel in der Nähe der Fältchen über das Gesicht. Sie zuckte schon seit Langem nicht mehr zurück. Nicht, dass ihre Reaktionen ihn je gekümmert hätten.
Hydt registrierte plötzlich, dass Dunnes kristallblaue Augen sich auf ihn richteten. Der jüngere Mann erstarrte kaum merklich, fing sich wieder und wandte den Blick ab. Hydt war verärgert. Was ging es diesen Kerl an, was Hydt anziehend fand? Er fragte sich, wie schon so oft, ob Dunnes Abneigung gegen diese Vorlieben womöglich nichts mit deren unkonventioneller Natur zu tun hatte, sondern mit der Tatsache, dass er jegliche Sexualität verachtete. In den Monaten, die Hydt ihn kannte, hatte der Ire keine einzige Frau (und auch keinen Mann) begehrlich angesehen.
Hydt ließ die Hand sinken und betrachtete erneut Jessica und die feinen Linien rund um ihre ergebenen Augen. Er ging in Gedanken den Zeitplan durch. Sie würden heute Abend noch weiterfliegen, und an Bord gab es keine abgeteilten Suiten. Er konnte sich nicht vorstellen, mit ihr intim zu werden, wenn Dunne in der Nähe war, nicht mal, wenn der Mann schlief.
Er überlegte. War jetzt Zeit, aufs Zimmer zu gehen, Jessica auf das Bett zu legen, die Vorhänge aufzuziehen, damit das Licht der sinkenden Sonne über das weiche Fleisch flutete und der Topographie ihres Körpers Glanz verlieh …
… und er mit den Fingernägeln über ihre Haut streichen konnte?
So wie er sich im Augenblick fühlte, ganz gefesselt von ihr und voll Vorfreude auf das Spektakel um neunzehn Uhr, würde das Stelldichein ohnehin nicht lange dauern.
»Severan«, sagte Dunne forsch. »Wir wissen nicht, was al-Fulan für uns hat. Wir sollten lieber gehen.«
Hydt schien die Worte zu bedenken, aber er zog es nicht ernsthaft in Erwägung. »Es war ein
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