Carte Blanche - Ein Bond-Roman
gab. Er war einer von Severan Hydts wichtigsten Lieferanten. Hydt hatte ihn auf einer Konferenz über Recyclingtechnik kennengelernt. Als er erfahren hatte, welche Auslandsreisen der Araber bisweilen unternahm und was für gefährliche Männer zu seinen Kunden zählten, waren sie Partner geworden. Al-Fulan war ein begabter Wissenschaftler, ein innovativer Ingenieur, ein Mann mit Ideen und Entwicklungen, die für Gehenna große Bedeutung besaßen.
Und er hatte gute Kontakte.
Neunzig Tote …
Bei diesem Gedanken sah Hydt unwillkürlich auf die Uhr. Kurz vor sechs.
»Severan, Niall, bitte folgen Sie mir.« Al-Fulan war Hydts Blick nicht entgangen. Der Araber führte sie durch mehrere halbdunkle, stille Räume. Dunne verlangsamte abermals seinen Schritt, um irgendwelche Geräte oder Schaltpulte zu inspizieren. Er nickte dann immer beifällig oder runzelte die Stirn – vielleicht weil er zu begreifen versuchte, wie ein bestimmtes System funktionierte.
Die Maschinen mit ihrem Geruch nach Öl, Farbe und der einzigartigen metallischen, nahezu blutähnlichen Ausdünstung leistungsstarker Schaltkreise blieben hinter ihnen zurück, und sie betraten den Bürotrakt. Am Ende eines trüben Korridors öffnete al-Fulan per Tastenfeld eine schlichte Tür, und sie betraten einen großen Arbeitsbereich mit Tausenden von Papieren, Blaupausen und anderen Dokumenten voller Worte, Zeichnungen und Diagramme, von denen viele für Hydt unverständlich waren.
Es herrschte eine, vorsichtig ausgedrückt, beklemmende Atmosphäre, einerseits wegen des Halbdunkels und der Unordnung … und andererseits wegen des Wandschmucks.
Bilder von Augen.
Augen aller Art – von Menschen, Fischen, Hunden, Katzen und Insekten. Fotos, dreidimensionale Zeichnungen, medizinische Skizzen aus dem neunzehnten Jahrhundert. Besonders unheimlich war die bizarre detaillierte Entwurfszeichnung eines menschlichen Auges, als hätte ein moderner Dr. Frankenstein die heutige Technik benutzt, um sein Ungeheuer zu erschaffen.
Vor einem der mehreren Dutzend großen Computermonitore saß eine attraktive Brünette, Ende zwanzig. Sie stand auf, ging zu Hydt und schüttelte ihm energisch die Hand. »Stella Kirkpatrick. Ich bin Mahdis Forschungsassistentin.« Sie begrüßte auch Dunne.
Hydt war schon einige Male in Dubai gewesen, hatte sie aber bisher noch nie getroffen. Die Frau sprach mit amerikanischem Akzent. Hydt nahm an, dass sie intelligent, zielstrebig und Vertreterin einer Gattung war, die in diesem Teil der Welt seit Jahrhunderten vorkam: die des Westlers, der sich in die arabische Kultur verliebt hatte.
»Stella hat die meisten der Algorithmen entwickelt«, sagte al-Fulan.
Ach, tatsächlich?«, fragte Hydt lächelnd.
Sie wurde rot, weil das Lob ihres Mentors sie freute. Der kurze Blick, den sie ihm zuwarf, bat inständig um weitere Bestätigung, die al-Fulan ihr mittels eines verführerischen Lächelns gab. Hydt hatte mit diesem Austausch nicht das Geringste zu tun.
Wie die Bilder an der Wand bereits nahelegten, hatte al-Fulan sich auf Optik spezialisiert. Sein Lebensziel war die Entwicklung eines künstlichen Auges für Blinde, das genauso gut funktionieren würde wie jene, die »Allah – gepriesen sei Er – uns geschenkt hat«. Doch bis es so weit war, würde er jede Menge Geld mit Industriedesign verdienen. Er hatte die meisten der spezialisierten Sicherheits-, Kontroll- und Inspektionssysteme für die Sortieranlagen und Aktenvernichter von Green Way ausgetüftelt.
Vor einer Weile hatte Hydt ihn beauftragt, ein weiteres Gerät für die Firma zu entwickeln. Heute wollten Dunne und er den Prototypen besichtigen.
»Eine Demonstration?«, fragte der Araber.
»Ich bitte darum«, erwiderte Hydt.
Sie gingen alle zurück in den Maschinenpark. Al-Fulan führte sie zu einer komplizierten, mehrere Tonnen schweren Apparatur, die auf der Laderampe neben zwei großen Müllpressen stand.
Der Araber drückte einige Knöpfe, und die Maschine lief mit einem Brummen allmählich warm. Sie war etwa sechs Meter lang und je zwei Meter hoch und breit. Vorn führte ein Fließband zu einer knapp einen Meter im Quadrat messenden Öffnung. Im Innern herrschte Schwärze, wenngleich Hydt horizontale Zylinder erahnen konnte, die mit Stacheln bedeckt waren, wie bei einem Mähdrescher. Am anderen Ende verliefen sechs Schächte zu großen Behältern, in denen jeweils ein dicker grauer Müllbeutel auf das wartete, was die Maschine ausspuckte.
Hydt musterte sie sorgfältig. Er und
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