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Caruso singt nicht mehr

Titel: Caruso singt nicht mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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theatralisch die Hand vor den Mund, als sie den Kadaver sah. Na ja, dachte Anne. Tote Tiere in gekachelten Kühlkammern haben ja auch wirklich keinen Charme. »Also, einfach ein Stückchen Filet, das tät mir reichen!« verkündete der ungeliebte Gast. Einfach Filet. Schau an. Nur vom Feinsten. »Die Lende hängt in der Kühlkammer rechts«, sagte Anne, schloß die eine und drückte den Hebelarm der anderen Kühlkammer nach unten. Hier hingen Lammkeulen und Lammrücken, eine halbe Hausschweinseite, ein Rinderfilet. Eine Gans im Federkleid. Und noch etwas anderes. Etwas ganz anderes. Aus weiter Ferne hörte sie neben sich die andere Frau aufschreien. Ihr wurde erst flau, dann übel, dann weich in den Knien. So ist das also, dachte sie erstaunt.
    Sie mußte, machte sie sich später klar, wie von Furien gehetzt aus den Wirtschaftsräumen hinausgestürzt und zum Reitstall gelaufen sein. Zu Rena.
    Alexander rief den Arzt. Und die Polizei.
     
    Die Gäste waren gegangen, die blonde Hundebesitzerin hatte vom Arzt ein Beruhigungsmittel erhalten. Anne fühlte sich völlig gefaßt, als sie oben im Wohnhaus die Polizei erwartete. Gregor Kosinski stand auf dem Ausweis, den der große, schlaksige Mann ihr hinhielt. Ein für diesen Landstrich ziemlich ungewöhnlicher Name, dachte sie flüchtig, bevor sie ihn in den großen Wohnraum einlud, in dem er sich ihr gegenübersetzte und sie lange und freundlich ansah.
    »Es ist Leo«, sagte Anne, jetzt plötzlich doch nervös. »Er ist mein Mann. Er war mein Mann.«
    »Herzliches Beileid!« sagte der Inspektor. Das kam ihr so grotesk vor, daß sie kicherte. Jetzt keinen hysterischen Anfall! beschwor sie sich, reiß dich zusammen, verdammt! Der Polizist wartete geduldig, bis sie sich wieder beruhigt hatte.
    »Haben Sie die Leiche angefaßt oder bewegt?«, fragte Kosinski und hielt fragend eine Schachtel Ernte 23 in die Höhe. »Natürlich nicht!« wehrte Anne ab und stand auf, um einen Aschenbecher zu holen.
    Wieso eigentlich »natürlich« nicht, fragte sie sich im selben Moment. Hätte sie nicht seinen Puls fühlen müssen, nachprüfen, ob er vielleicht noch lebte? Hätte sie nicht einen kühlen Kopf bewahren müssen bei seinem Anblick? Wiederbelebungsversuche machen?
    Zwecklos, das hatte sie seltsamerweise sofort gewußt.
    Sein Mörder hatte Leo in die Kühlkammer gehängt, neben das Schlachtvieh. An einen Fleischerhaken. Vielmehr, man hatte den Fleischerhaken hinten durch seine Weste gestoßen, in der er hing, als wolle er mit den Flügeln schlagen. Seine Füße berührten den Boden, Leo war viel zu groß für die geringe Höhe, in der die Stange die Kühlkammer durchquerte. Das eine Knie war abgewinkelt, das andere durchgedrückt. Das weiße Oberhemd hatte sich nach oben geschoben, die elegante, jetzt schlammverschmutzte Hose war ihm auf die Knöchel gerutscht.
    »Haben Sie eine Vorstellung, wer Ihrem Mann übelwollte?« fragte der Landpolizist. »Übelwollte«? Elegant ausgedrückt für den Tatbestand eines Mordes. »Nein«, antwortete Anne. Und fügte zögernd hinzu: »Oder jedenfalls nicht so, daß man ihn hätte umbringen wollen.«
    Jemand hatte Leo erwürgt. Und dann in ihre Kühlkammer gehängt. Wie das Schlachtvieh. Erstaunt merkte Anne, daß ihre Zähne klapperten.
    Gregor Kosinski betrachtete Anne Burau mit freundlicher Distanz. Die Frau war blond, lang und schlank. Ein bißchen nervös, aber ziemlich gefaßt. Ungerührt? So weit würde er nicht gehen. Kosinski musterte ihre Hände. Zu schlank, um den Gatten selbst erwürgt und an den Haken gehängt zu haben? Wohl kaum. Landfrauen waren Schwerarbeiterinnen. Sie hatten Kraft.
    »Wann waren Sie das letzte Mal in dem Raum?« Er versuchte es noch einmal.
    »Gestern«, sagte Anne und rückte ihre Brille zurecht. »Gestern abend. Vor dem Abendessen.«
    Sie konnte sich nicht wehren gegen das Bild vor ihrem inneren Auge. Wie er da hing, den Kopf auf die Brust gesunken, die Haut unter dem unrasierten Kinn zieharmonikaförmig zusammengeschoben. All die Schönheit dahin … Anne schluckte. Fast hätte sie doch noch geweint. Sie versuchte sich einzureden, daß sie das alles nichts mehr anging. Schon lange nichts mehr anging. Leo war tot. Und für sie war er kaum lebendiger gewesen, als er noch lebte.
    Kosinski drückte seine dritte Zigarette aus und betrachtete abwesend die Fliege, die neben dem Aschenbecher lag und mit rasend schlagenden Flügeln erst größere, dann immer kleinere Kreise zog. Immer noch abwesend, nahm er seine

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