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Caruso singt nicht mehr

Titel: Caruso singt nicht mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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Zigarettenschachtel und beendete den Todeskampf. Leo Matern, der Mann von Anne Burau, hatte schon länger im Kühlraum gehangen, das sah man auch ohne gerichtsmedizinische Untersuchung. Er war, darauf ließ der Zustand seiner Kleidung schließen, nicht am Fundort gestorben. Dorthin hatte man ihn offenbar geschleppt, um die Leiche zur Schau zu stellen. Gebrandmarkt.
    Anne hatte es auch gesehen: An der einen, der linken, der eingefallenen Pobacke der Leiche prangte leuchtend blau etwas, das wie das Prüfsiegel des Fleischbeschauers aussah. Als ob man ihn noch im Tod hatte demütigen wollen.
    »Und wann haben Sie Ihren Mann das letzte Mal gesehen?«
    Anne fuhr nervös durch ihr Haar, das sich aus der Spange zu lösen begann, mit der sie es im Nacken zusammengefaßt hatte. »Ich glaube«, sagte sie und zögerte. »Vielleicht am Mittwoch?«
5
    Nicht Anne, ihren Mann hatte es erwischt. Paul schloß das Fenster, ging die Treppe hinunter in die Küche und goß sich einen Whisky ein. Einerseits war er erleichtert. Anne lebte. Bremer atmete tief ein. Das war die gute Nachricht. Die schlechte: Irgendeiner mußte ja ihren Mann umgebracht haben – und Familienmitglieder, vor allem Ehefrauen, lagen nun mal vorn als Tatverdächtige. Paul stellte mit leisem Erschrecken fest, daß er es gar nicht sonderlich verwunderlich finden würde, wenn sie ihren unangenehmen Kerl von Ehemann … Er hob das Glas, nahm einen tiefen Schluck und sandte ein Stoßgebet hinterher – »Laß es nicht Anne sein, Herrgottnochmal.«
    Und da war noch etwas anderes, was ihn beunruhigte. Er war sich nicht ganz sicher, aber er glaubte, sie heute früh um kurz vor sechs gesehen zu haben. Dort, wo der Feldweg zum Weiherhof auf die Landstraße nach Ebersgrund mündete. Hinter einer Staubwolke.
    Bremer versuchte die Szene zu rekonstruieren. Er war heute morgen eine seiner härteren Touren gefahren und hatte die langgezogene Steigung vier Kilometer vor Ebersgrund ganz manierlich, wie er fand, hinter sich gebracht – die meiste Zeit im Stehen, im langen Wiegetritt. Wenigstens diesmal hatte ihn der Rennradfahrer in der schwarzen Balaklava nicht überholt, der ihm in den letzten Wochen häufig beim Fahrradfahren begegnet war. Der Mann, in langer schwarzer Hose, schwarzem, langärmligem Hemd und schwarzem Windbreaker hatte zwar immer freundlich gegrüßt, wenn er an Paul vorbeizog. Aber die Tatsache, daß man ihn, der sich einiges auf seine Kondition einbildete, so leicht abhängen konnte, hatte sein Selbstbewußtsein ziemlich demoliert. Wer war der Typ? »Angeber«, murmelte er und nahm einen zweiten Schluck. Und fiel nicht eine Balaklava, eine Mütze, die man über den Kopf zog und die nur schmale Schlitze für Mund, Nase und Augen ließ, eindeutig unters Vermummungsverbot? »Feiger Kerl«, brummelte Paul. Heute war ihm sein unbekannter Gegner nicht hinterhergefahren, sondern entgegengekommen: mit enormem Tempo, gesenktem Kopf und ohne Gruß.
    Der unbekannte Rennfahrer irritierte ihn, wie er sich mit leiser Verwunderung eingestehen mußte. Gekränkter Stolz, männlicher Neid? Bestimmt. Paul war noch immer nicht wieder völlig konzentriert gewesen, als er auf der Höhe des Feldwegs angelangt war, der von der Straße zum Weiherhof führte. Nur so erklärte er sich im nachhinein seine Überreaktion: Als ein Geländewagen mit gar nicht mal überhöhter Geschwindigkeit in einer großen Staubwolke vom Feldweg aus in Gegenrichtung zu Paul auf die Landstraße einbog, betätigte Bremer mit beiden Händen die Bremsen. Fast wäre er über den Lenker gegangen.
    Es hatte natürlich nicht den geringsten Grund gegeben, dafür den armen Jeepfahrer zu beschimpfen, gab Bremer im Rückblick grinsend zu – ohne irgend etwas zu bedauern. Denn wenn er etwas innig haßte, dann waren das Geländewagen, Jeeps, Cruisers und andere Fun-Cars in all ihren Erscheinungsformen, mit Sonnenuntergängen, Palmen oder der Anschrift eines Bodybuilding- oder Boxclubs auf dem Reserveradüberzieher. Dieser hier hatte, wie er gerade noch erkennen konnte, »Der Flug des Falken« in tannengrüner Schrift auf dem ansonsten unauffälligen Reserveradbezug stehen. Und hinter der Staubfahne, die der Jeep auf dem Feldweg aufgewirbelt hatte, glaubte er beim Blick zurück Anne Burau zu erkennen, die Weiherhofbäuerin. Für zehn Sekunden bezog er sogar sie in seinen Zorn ein. Was machte sie um diese Zeit, um kurz nach sechs Uhr früh, mit so einem blöden Motorterroristen?
    Es war ihm heute früh verdächtig

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