Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Caruso singt nicht mehr

Titel: Caruso singt nicht mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
Vom Netzwerk:
ihren Alten um die Ecke gebracht!« Mariannes lauter Ausbruch wunderte Paul. Nicht nur, weil sie so ungewohnt höhnisch klang. Als ob sie eifersüchtig wäre – auf Anne? Wieso auf Anne? Er war verwirrt. Viel mehr aber erschütterte ihn, daß er ihr heimlich recht geben mußte. Daß Brandstifter, Pferdeschlitzer oder »der Frankfurter« den Mord begangen hatten, war weit weniger wahrscheinlich, als daß der Täter aus dem allerengsten Umfeld des Opfers kam. Aus der Familie.
    War Anne die Täterin? Mitwisserin? Anstifterin? Und vor allem: Was hatte sie heute morgen um sechs Uhr früh auf dem Feldweg zu suchen gehabt? Plötzlich war Paul sich sicher: Es war sie, die er gesehen hatte hinter der Staubfahne eines schokoladebraunen Jeeps mit verdrecktem Nummernschild, der sich verdächtig hastig entfernte.
    Paul drückte Gottfried zwei Mark fünfzig in die Hand, für zehn Zwerghuhneier, die Marie ihm in den Eierkarton gepackt hatte, und verließ fluchtartig die Dorfversammlung. Er hatte Angst um Anne. Angst vor Anne? Vielleicht, gestand er sich ein.
     
    Er hatte sie im Frühjahr kennengelernt, als er an einem eiskalten Samstagmorgen mit dem Rad unterwegs war – auf seiner Lieblingsroute, eine Vorliebe, die zumindestens auf dem mittleren Abschnitt von vielen Motorradfahrern geteilt wurde. In einer idyllischen Kneipe am Rande dieses Parcours war der »Motorradtreff« der Region, und insbesondere an Wochenenden fanden sich sämtliche Biker Hessens dort ein. Bremer fand, daß sie überwiegend störten. Obzwar die Pfeiler der Leitplanken an der kurvenreichen Strecke abgepolstert waren, um das Risiko zu mindern, daß sich Motorradfahrer um dieselben wickelten, der sicheren Zwei- oder Vierteilung entgegen, zeugten Holzkreuze am Straßenrand davon, daß es offenbar noch immer vielen Jugendlichen gelang, mit Hilfe von Alkohol und überhöhter Geschwindigkeit ihre Grenzen auszutesten – mit in jeder Hinsicht abschließendem Ergebnis. Paul mochte Motorradfahrer ebensowenig wie Jeepbesitzer. Abgeklärte Herren auf gemütlich stuckernden Harleys ausgenommen.
    Als er fast den Scheitelpunkt einer langgezogenen Kurve erreicht hatte, schob sich von links her, mit Zeitlupentempo, wie ihm schien, ein rotlackiertes, glänzendes Ding auf die Straße, überquerte den Mittelstreifen und trudelte über die Fahrbahn, auf der er sich mit vierzig Stundenkilometern von der Gegenseite her näherte. Erst auf den zweiten Blick und nachdem er abgebremst hatte, verstand Paul, was er da sah. Ein auf der Seite liegendes Motorrad war ihm vor die Füße gerutscht, ohne Fahrer. Der lag noch da, wo er seine Führungsqualitäten abgegeben hatte: am linken Straßenrand. Immerhin hatte er noch rechtzeitig absteigen können. Nun kam er langsam auf die Knie, mühsam, wie unter Schock. Von hinten näherte sich ein zweiter Motorradfahrer, der die Lage offenbar begriffen hatte und seine blaue Honda am Straßenrand parkte.
    Paul lehnte sein Rad an die Leitplanke und kümmerte sich um den Unfallfahrer, der sich aufgesetzt und das Visier seines Helms geöffnet hatte. Bei einem verletzten Motorradfahrer niemals den Helm abnehmen, ermahnte sich Bremer, während er die Straße überquerte, sonst hast du nachher das Gehirn in der Hand. Bei ihm würde man das Gehirn suchen müssen. Er fuhr trotz besserer Einsicht ohne Helm.
    »Was passiert?« Der dunkelhaarige, etwa dreißigjährige Mann schluckte und wiegte benommen den Kopf. »Weiß nicht.«
    »Kannst du gehen?«
    »Glaub schon.«
    »Ich räum hier auf inzwischen«, versprach der andere Motorradfahrer, während Paul den Burschen einhakte und den Feldweg einschlug, der von der Straße zum Weiherhof führte – »Biolandbauernhof«, wie der Wegweiser warb. Autoritär ignorierte er den sehnsüchtigen Blick seines Begleiters zurück zu seinem roten Kultgerät.
    Auf dem Hof wuselten eine Ente und ein roter Setter um einen Trecker herum, dessen Fahrer sie links um die Ecke dirigierte. Anne Burau stand vor dem, was sie ihren »Hofladen« nannte. Eigentlich war der »Laden« eine Kneipe, mit Bierausschank und Küche drinnen und mit drei ziemlich betagten Biertischgarnituren vor der Tür.
    »Schon wieder einer?« fragte sie, als sie Bremer im Fahrraddreß und den Unbekannten in der Motorradkombi sah. »Seid ihr zusammengestoßen?«
    Sehr witzig, dachte Bremer, dem der spöttische Unterton nicht entgangen war. Er schüttelte den Kopf und ließ den Mann sich auf die nächstbeste Bank setzen.
    »Der Kollege hier braucht

Weitere Kostenlose Bücher