Caruso singt nicht mehr
ihm zu, als er mit dem kleinen Trupp, den er auf dem Apfelschimmel anführen durfte, näher kam. »Uuuund Tempo, uuund alle«, kommandierte Rena lautstark und näselnd, ganz so, wie schon Tausende von Reitlehrern ihre Schützlinge gequält hatten.
»Wieder ein neuer Haufen Unbelehrbarer?« fragte Alexander mitfühlend, der neben ihr stand und wie sie die Arme auf den obersten Balken der hölzernen Balustrade aufgestützt hatte, die den Exerzierplatz in der Reithalle umgab. Es schien ihm keine sehr dankbare Aufgabe zu sein, den von ihren städtischen Eltern auf dem Weiherhof abgestellten Bälgern in drei Wochen alles Pferdgemäße beizubiegen.
»Ich halt’s aus.« Rena war sichtbar geschmeichelt, daß sich Alexander für sie interessierte. »Es ist ja das letzte Mal in dieser Saison.«
Leider, dachte Anne Burau, die den beiden zusah, und trocknete sich die langen, schmalen Finger an der Küchenschürze ab. Die große Reithalle, die sie vor drei Jahren hatte bauen lassen, um müde Städter mit »Ferien auf dem Bauernhof« locken zu können, hatte sich noch längst nicht amortisiert.
Anne gefiel es, daß Alexander sich seit einigen Wochen angewöhnt hatte, ihre Tochter zu besuchen. Zugleich wunderte es sie ein bißchen, daß der gutaussehende, gut gekleidete, immer höfliche junge Mann sich ausgerechnet für Rena interessierte. Ihre Tochter, fand Anne, war ein kluges, sensibles, gutherziges, ein geradezu großartiges Exemplar. Aber selbst die liebende Mutter mußte zugeben, daß es ihr ein bißchen fehlte an, na ja, sagen wir mal, klassisch weiblicher Attraktivität. Rena war von allem ein bißchen zuviel: zu blaß, zu dünn, zu blond, zu linkisch. Oder will wer noch immer behaupten, eigentlich komme es nur auf den guten Charakter an? fragte sich Anne, die mit dieser verlogenen Behauptung aufgewachsen war, und schickte einen Stoßseufzer hinterher. Hoffentlich war er nett zu ihr. Hoffentlich enttäuschte er sie nicht. Hoffentlich war er ein verläßlicher Freund. Hoffentlich passierte der Tochter nicht, was der Mutter widerfahren war.
Alexander hatte sich umgedreht und winkte ihr zu. Anne hob die Hand und winkte zurück. Die Eltern hatten sich vor einigen Jahren ein Fachwerkhaus in Ebersgrund ausgebaut. Der Junge hatte, wie Rena, gerade das Abitur hinter sich gebracht und überlegte noch, ob er ein Studium beginnen oder sich freiwillig bei der Bundeswehr verpflichten sollte. Alexander war ein netter Kerl, bestimmt. Anne Burau runzelte die Stirn. Zu nett?
Sie stöhnte innerlich auf. Verdammtes Mißtrauen. Anne ärgerte sich über sich selbst. Kannst du denn nur noch schwarzsehen? Nicht alle Männer sind Lügner und Betrüger! wies sie sich zurecht. »Oder?« fragte eine kleine mißtrauische Stimme spitz zurück.
Sie gab sich einen Ruck und kehrte zu ihrer Kundschaft zurück, der sie draußen auf dem Hof Apfelwein ausschenkte. Irgendwie war ihr heute alles zu laut und zu anstrengend. »Reiß dich zusammen«, forderte sie sich mit gewohnter Härte auf, »sonst kannst du gleich den Beruf wechseln.« Besonders eine Blondgefärbte um die Dreißig ging ihr auf die Nerven. »Rotti! Bei Fuß!« herrschte die Dame den völlig unterdrückten Rottweiler an, den sie an kurzer Leine neben sich hielt (Warum nicht gleich Pavarotti? dachte Anne). Ob Anne denn qualifiziert sei für einen Ökobauernhof, wollte sie wissen. Ob sie denn alles ganz allein machen müsse. Anne zwang sich zu Höflichkeit und antwortete ausweichend. Schließlich wollte die Frau auch noch das Kühlhaus besichtigen. »Der Hund bleibt draußen!« sagte Anne bestimmt.
Sie verarbeitete auf ihrem Hof mit Bioland-Gütesiegel nicht nur die eigenen Charolais-Rinder, ihre das ganze Jahr über im Freien lebenden Schweine, die zahllosen Lämmer, Gänse, Enten und Truthähne, die sich um den Löschteich herum vergnügten, sondern verkaufte auch Wild. Aus allererster Hand: von den beiden Jagdpächtern aus dem angrenzenden Revier. Rudolf und Werner hatten einen Schlüssel zum Kühlhaus und hängten ihr frühmorgens an den Haken, was sie nachts erlegt hatten. In der linken Kühlkammer hing das kleine Wildschwein, noch in der Decke, das die beiden gestern abgeliefert hatten. Der rote Zettel des Fleischbeschauers steckte auf dem Fleischerhaken, »beschlagnahmt bis …«, stand oben rechts in der Ecke. Erst wenn sie bis morgen früh nichts vom Veterinäramt gehört hatte, war das Fleisch freigegeben.
Die Rottweilerin, wie Anne sie ungnädig getauft hatte, legte
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