Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Caruso singt nicht mehr

Titel: Caruso singt nicht mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
Vom Netzwerk:
hatte.
    »Sie wissen, daß die Burau noch nicht lange in dieser Gegend wohnt, nicht?«
    Paul nickte.
    »Sie lebte bis 1991 in Schleswig-Holstein. Hatte eine glänzende Karriere in Kiel vor sich, sagt man – in der Politik. Und eines Tages, aus heiterem Himmel – pfifft.« Kosinski breitete die Arme aus. »Und ward nicht mehr gesehen.«
    Kosinski hob das Glas. Paul prostete, verblüfft, zurück: Womit hatte er dies Vertrauen verdient?
    »Anne Burau-Matern, wie sie damals noch hieß, verkaufte ihre Wohnung, verfaßte einen nichtssagenden Rundbrief an die Freunde, meldete sich ordnungsgemäß beim Einwohnermeldeamt und die Tochter von der Schule ab und verließ – ohne einen Nachsendeantrag zu stellen – die Stadt.«
    »Ohne einen Nachsendeantrag zu stellen!« sagte Paul und grinste schwach. Kosinski grinste zurück. »Ich weiß, das klingt jetzt bürokratisch. Aber ›kein Nachsendeantrag‹ deutet darauf hin, daß sie die Brücken vollständig abbrechen wollte.«
    Bremer war erstaunt, wie wenig ihn diese Mitteilungen überraschten. Vielleicht, weil er bei Anne sowieso auf jede Überraschung gefaßt gewesen war?
    Der Inspektor stand auf und drehte sich, Schnapsglas in der Hand, zum Spalier an der Hauswand, an dem die New Dawn hochrankte, eine, wie Paul fand, der schönsten rosa Kletterrosen, und die letzten duftenden Rosenblüten dieses Jahres in die Abendluft reckte. »Schön«, sagte er. Und: »Nicht schlecht, der Stoff.« Bremer deutete fragend auf die Flasche. Kosinski winkte ab.
    »Und diese Person«, griff er den Faden wieder auf, »organisiert ihre Rinder und ihre Gänseherde mit der gleichen Perfektion, mit der sie ihre Karriere in Kiel geplant haben muß, die sie von einem Tag auf den anderen aufgegeben hat.«
    »Und jetzt«, Kosinski roch am Glas und leckte sich die Lippen, »und jetzt stirbt der Gatte unter ziemlich dubiosen Umständen. Aber ebenfalls perfekt organisiert.«
    »Anne? Niemals«, sagte Bremer mit schwacher Stimme. Aber er war nicht ganz so überzeugt von ihrer Unschuld, wie er es gern gewesen wäre.
    Der Inspektor griff sich die Tüte mit den Scherben, die er auf den Gartentisch gelegt hatte, und klopfte zum Abschied zweimal mit der flachen Hand auf den Tisch. »Mal sehen, was die Spurensicherung damit anfangen kann«, sagte er und legte Paul seine Karte neben den vollen Aschenbecher. »Falls was ist«, sagte er und ging mit weitausgreifenden Schritten zum Gartentor hinaus.
9
    Am nächsten Morgen brauchte Bremer zwei Aspirin, zwei Kannen Tee und ausgiebige Zeitungslektüre im Bett, um den Schaden vom Abend zuvor zu beheben. »Eines der vielen Gläser muß schlecht gewesen sein«, murmelte er bei seinem Anblick im Badezimmerspiegel, bevor er beschloß, sich heute nicht zu rasieren.
    Nachdem Kosinski gegangen war, hatte er sich in Ruhe ein Kaminfeuer angezündet, was zu essen gemacht, Musik aufgelegt und reichlich Wein eingeschenkt. Um genau zu sein: Er hatte sich betrunken. Und gerade noch soviel Verstand gehabt, Anne nicht anzurufen.
    Warum? hatte er sie fragen wollen. Warum dieser radikale Bruch? Was hast du zurückgelassen? Was hat dich hierhergetrieben? Die Liebe zur Scholle? Oder nur eine schlichte, kleine private Katastrophe? Wie bei ihm?
    »Dann hättest du endlich einen Grund, sie zu trösten«, dachte er. Wobei er sich keineswegs sicher war, daß das ein befriedigender Ersatz wäre für all die anderen Gefühle, die er im Verhältnis zu ihr vermißte. Ihm war heute morgen auch im nüchternen Zustand nicht ganz klar, was ihn eigentlich so anzog an ihr. Sie dachte nicht daran, sich ihm anzuvertrauen. Und sie dachte nicht daran, seine Gefühle zu erwidern. »Was ihre verdammte Christenfreiheit ist, Bremer«, brummte er und klopfte im Vorübergehen mit dem Knöchel heftiger als nötig auf das Barometer. Es fiel. Wie passend.
    Vor der Haustür lauerten vier der Katzen, die mit unruhigen Pfoten und leisem Klagen erwarteten, daß er endlich seine verdammte Pflicht tat. Paul holte eine große Dose aus der Vorratskammer und den Dosenöffner aus der Schublade. Die Kerle wurden langsam teuer. »Ersatzweise ausgeübtes Sorgerecht«, hatte Karen einmal gespöttelt, die seine Liebe zu den kleinen Viechern nicht ganz nachvollziehen konnte. Vielleicht hatte sie recht. Paul lehnte sich in den Türrahmen und betrachtete die vier schmatzenden Tiere. Für wen sollte er auch sonst sorgen?
    Im Haus gegenüber öffnete sich geräuschvoll das Küchenfenster. »Wo ist Willi?« rief Paul zu Marianne hoch,

Weitere Kostenlose Bücher