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Caruso singt nicht mehr

Titel: Caruso singt nicht mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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Ortseingang, auf der Landstraße von Ottersbrunn nach Heckbach. Zum Dorf ging es links ab, zu einer Ansammlung von zehn Fachwerkhäusern und zwei Neubauten, nicht gezählt Scheune, Ställe, Silos, Garagen und Hundehütten. Als er in die Dorfstraße einbog, lief ihm eine schwarze Katze entgegen, sah ihn, machte kehrt und floh über den nächsten Gartenzaun. Die Häuser standen hier eng aneinander, zwei Dreiseitenhöfe in der typischen Hufeisenform lagen rechts, ein etwas größerer Hof links an der Straße. Kosinski hatte schon schönere Dörfer gesehen in der Rhön. In Klein-Roda waren die Bauern offenbar immer schon arm gewesen: Selbst beim zweiten der beiden Dreiseitenhöfe, dessen Fachwerk freilag, hatte das Geld für ordentliche Eichenbalken gefehlt, wie Kosinski feststellte, der einen Blick dafür hatte. Das kleine, schlicht verputzte Haus, das dem Friedhofsweg gegenüber lag, in den Kosinski jetzt rechts ab bog, mußte das von Paul Bremer sein.
    Männerwäsche hing beim zweiten Hof wegaufwärts auf der zwischen Scheune und Wohnhaus gespannten Leine: zwei blaue, an den Knien ausgebleichte Arbeitshosen, sechs weiße Unterhosen, Feinripp, Unterhemden, karierte Oberhemden, ein Overall, vier Paar Socken (sah nach Aldi aus, er kaufte die gleichen im Sechserpack). Das kleine Fachwerkwohnhaus war frisch gestrichen, der Innenhof gepflastert, unter einer Kastanie parkte ein altes Moped. Gegenüber, vor einer Bank unter einer großen Linde, vor der Einfahrt zu einem großen, auffallend gepflegten Hof, standen zwei Kinder, Junge und Mädchen, Fahrräder zwischen den Beinen, die ihn gebannt anstarrten. Merkwürdig, fand er, der die beiden freundlich grüßte, daß auch Zehnjährige noch am Daumen lutschten. Die beiden guckten verängstigt und antworteten auf seinen Gruß nicht. Aus dem letzten Hof vor Dorfende scholl Kosinski lautes, tiefes Hundegebell entgegen. Ein großer, gelber Bernhardiner warf sich gegen die Kette, die, so führte das Tier sich jedenfalls auf, das einzige war, das es daran hinderte, den Eindringling zu zerfleischen.
    Das war es, was Kosinski zu schaffen machte, die Angst, die große Angst, die in den Dörfern umging. Und die man an so vielen kleinen Zeichen ablesen konnte – nicht nur in Kindergesichtern oder an der verbreiteten Neigung zu großen Hunden. Heutzutage wurden Haustüren und Scheunentore verriegelt, kaum daß sich die Bewohner für fünf Minuten entfernt hatten; wurde sogar das Auto abgeschlossen, wenn man gerade zwei Minuten vorm Postamt parkte, um einen Brief einzuwerfen. Das wäre noch vor ein paar Jahren unvorstellbar gewesen. Die schlimmste Pest, fand Kosinski, waren die Bewegungsmelder, die der Baumarkt in Haslingen mit großem Erfolg vertrieb. Sie fehlten mittlerweile auf keinem Gehöft und waren selten richtig eingestellt. Meistens gingen die Scheinwerfer schon an, wenn auch nur eine Katze übers Grundstück streunte. Kosinski war auf nächtlichen Spaziergängen durch Altenzell schon oft jäh angestrahlt und hernach von wütenden Tölen ausgekläfft worden. Er haßte das. Städter, dachte er manchmal, sind einfach härter im Nehmen.
    Neuerdings häuften sich die absurdesten Beispiele für die allgemeine Hysterie. Auf allen Polizeidienststellen erzählte man sich eine Geschichte besonders gern – schenkelklopfend, wie er zugeben mußte. Im Nachbarhaus gebe es eine wilde Schießerei, hatte ein aufmerksamer Bewohner von Bad Moosbach eines Abends vor gut zwei Wochen der Polizei gemeldet. Als die Beamten am vorgeblichen Tatort ankamen, trafen sie auf ein angeheitertes Paar – sie im Brautkleid, er im dunklen Anzug. Frischvermählte, die soeben nach Hause gekommen waren – in ihre von den Freunden mit Luftballons angefüllte Wohnung. Die beiden hatten sich ein Vergnügen daraus gemacht, die Ballons, die ihnen den Weg zur Hochzeitsnacht versperrten, platzen zu lassen. »Mit der Nadel von meiner Brosche«, hatte die Braut gestanden. »Mit dem Feuerzeug«, der Bräutigam. Auch den Polizeieinsatz hielten die beiden für eine Inszenierung ihrer Kumpels. Das allerdings war ein Trugschluß: Hier hatte der Nachbar nachgeholfen. Dem alten Mann war die Welt nicht von Scherzvögeln, sondern von Verbrechern besiedelt.
    Die rumänischen Räuber und Autodiebe, der Pferdeschlitzer, der Brandstifter und jetzt der Mord auf dem Weiherhof – das mußte ja zuviel sein für eine Bevölkerung, die Verbrechen in Miami oder Frankfurt am Main beheimatet sah. Kosinski wünschte sich sehnlichst, daß nicht

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