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Caruso singt nicht mehr

Titel: Caruso singt nicht mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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hing.
    »Ich mußte Dagobert von der Kette nehmen, es hätte ihn sonst erwischt. Und jetzt bringe ich es nicht über mich, ihn wieder einzusperren«, erklärte Anne und zog den großen schwarzen Hund liebevoll am Ohr. »Ich hoffe, daß diese eindrucksvolle Verteidigungsbereitschaft irgendwann mal etwas nachläßt – Sammy jedenfalls hat sich in irgendeine Ecke verkrochen und ward nicht mehr gesehen.«
    »Das schadet dem verwöhnten Kerl gar nicht, mal Platz für einen aus der hart arbeitenden Hundeplebs machen zu müssen«, fand Paul.
    Dagobert knurrte noch immer, obwohl Anne ihm beruhigend zuredete. Paul beschloß, lieber draußen vor dem Gatter stehen zu bleiben, als sich auf die Auseinandersetzung mit einem Tier einzulassen, dessen Zuneigung nur einem einzigen Menschen galt.
    Er legte die Arme auf den Balken und schaute sie an.
    »Und? Wie schlimm ist es, alles in allem?«
    Anne fuhr Butz durch die seidige Mähne und klopfte ihm den Hals, unter dessen dünner Haut sich die Adern abzeichneten. »Hätte wahrscheinlich schlimmer kommen können.« Ihre Stimme klang gefaßt.
    »Die alte Hella hat’s erwischt. Der Ziegenbock ist vorhin zurückgekommen, die Ponies hat Krysztof eingefangen. Das Hängebauchschwein fehlt noch.«
    »Ich hatte gehofft, man würde dich verschonen«, sagte Bremer leise.
    »Schön wär’s gewesen.« Anne flocht geistesabwesend Zöpfchen in die Mähne des Arabers.
    »Aber was ziemlich furchtbar ist …« Anne schluckte. »Die alte Hella war schon vorher tot.«
    Sie begriff erst langsam, was das bedeutete. »Die Polizei war hier. Ich hätte es sonst erst gemerkt, wenn der Abdecker gekommen wäre.«
    Die Stute war an den Hinterbeinen gefesselt gewesen. Der Täter hatte ihr die Genitalien zerschnitten und den Bauch aufgeschlitzt.
    Annes Stimme klang angestrengt. »Rena ist völlig aufgelöst und nicht mehr ansprechbar.«
    Bremer hätte sie am liebsten in den Arm genommen. Aber das war ja wohl nicht angesagt. Schon weil der Hund ihn nicht aus den Augen ließ.
    »Es ist ein Fluch«, sagte Anne plötzlich. »Es liegt ein Fluch auf diesem Hof.« Ihre Stimme war plötzlich seltsam hoch und gepreßt.
    Jetzt dreht sie durch, dachte Paul. Den Gedanken mußte man ihm überdeutlich angesehen haben, denn Anne lachte, verschluckte sich und hustete. »Nein, Paul, mach dir keine Sorgen, ich bin völlig bei Verstand. Es ist nur …« Anne stockte.
    »Ein bißchen viel auf einmal«, sagte Paul verständnisvoll.
    Anne nickte. Wahrscheinlich. Aber das war es nicht.
    »Man kann der Vergangenheit nicht entkommen«, sagte sie lahm und dachte dabei: Ich muß es ihm erzählen. Ich muß es irgend jemandem erzählen. Wenn sie jetzt nichts sagte, würde es irgendwann aus ihr herausplatzen. Wie eine dunkle schwarze Fliegenwolke.
    »Die Geschichte ist lang, Paul«, sagte sie und schaute ihm in die Augen.
    »Macht nichts. Ich habe Zeit.«
    »Und ich weiß nicht, ob ich sie auch zu Ende erzählen kann –« Bestimmt nicht, dachte sie. Niemals.
    »Versuch es doch einfach«, sagte Paul. Anne legte ihre Hand auf die Hinterbacke von Bucephalus, der ihr ungerührt den Rücken zugedreht hatte, und holte Luft.
    »Ich war mal was Besseres«, sagte sie leise. »Ich fing an als feindlich-negatives Element. Als revanchistische Hetzerin. Asozial, staatsfeindlich und antisowjetisch. Und habe dann Karriere gemacht – als operativ bedeutsame Person, als wichtige Quelle, die abgeschöpft werden mußte. Um mich haben sich mindestens vier verdiente Männer persönlich bemüht – sehr persönlich, zum Teil. Und meinen Platz im Pantheon habe ich schon zu Lebzeiten eingenommen. In Gestalt von vielleicht einem bis zwei Metern Akte – ich hab’s nicht nachgemessen. Soviel jedenfalls ist übriggeblieben. Vom operativen Vorgang Anne Burau. In der Gauck-Behörde.«
    »Eine Stasi-Akte?« Paul war überrascht. Das also war die Verbindung zur DDR …
    Anne lachte freudlos. »Guck bitte etwas begeisterter, Paul. Das hat nicht jeder!« Sie lehnte sich gegen ihr Pferd, das sein Maul in die Futterraufe gesteckt hatte und gemütlich malmte, und sah ihn mit gerunzelter Stirn an.
    »Nur DDR-Bürger haben eine Stasi-Akte, dachte ich immer«, meinte Paul. »Oder wichtige Personen des öffentlichen Lebens der BRD.«
    »Was ich natürlich nicht war«, sagte Anne, »damals, Anfang der 80er Jahre. Ich war ein völlig unbeschriebenes Blatt, ein bißchen naiv, eine Idealistin, eine Weltverbesserin. Und sehr, sehr engagiert: in der Friedensbewegung.«
    Paul guckte

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