Cash
Daunenschlafsack auf dem Fußboden. Matty schenkte sich zwei Finger breit vom nächstbesten Getränk ein, ging zu dem Kleiderhaufen auf der Couchlehne und fischte den Autoschlüssel aus der Hose des Großen. Als er den Sentra auf dem Parkplatz unter dem Haus durchsuchte, fand er einen halb gerauchten Joint im Handschuhfach, aber sonst nichts Erwähnenswertes. Dann öffnete er den Kofferraum und fand zwei Sporttaschen von der Polizei Lake George, bis oben hin voll mit Gras, bereits abgepackt in 5er- und 10er-Portionen für den Verkauf zu Hause.
Ein Freund in Washington Heights ...
In der Wohnung setzte sich Matty auf einen Stuhl und sah seinen Söhnen beim Schlafen zu. Morgen fuhren sie wieder nach Norden. Er steckte die Autoschlüssel in die Jeanstasche des Großen, verließ die Wohnung und ging zurück auf die Wache.
Eine Stunde später lag Matty mit offenen Augen im luftlosen, stinkenden Ruheraum und dachte an den tödlichen Schuss auf Isaac Marcus.
Auch wenn es da draußen ein paar lupenreine Bluthunde gab, entsprachen doch die meisten Mörder, wenn er sie denn endlich zu fassen bekam, nicht seinen Erwartungen. In der Regel waren sie ein dummes, wahnwitzig egomanisches Pack, selten erschienen sie, zumindest auf den ersten Blick, einer Tat derart biblischen Ausmaßes fähig. Hinterbliebene hingegen, selbst jene, die so grobschlächtig und barbarisch waren wie die Mörder, die sich ihrer Ehegatten und Kinder entledigt hatten, erschienen ihm fast immer übermenschlich; und im Dienste eines solchen Leidens zu stehen, erfüllte ihn häufig sowohl mit Demut als auch einem Gefühl des Auserwähltseins. »Seien Sie nicht zu streng mit sich.« Der Mann hatte unter Schock gestanden, als er das sagte, aber das machte es nur noch gewaltiger, denn was er gezeigt hatte inmitten seiner Taubheit, seiner Alptraumtrance, war Mitgefühl. Egal, wie oft Matty die sichtbaren Folgen eines solchen Schicksalsschlags mitbekommen hatte, in großen Teilen blieb er gnädigerweise seiner Vorstellungskraft entzogen. Doch von allen unergründlichen Dingen verstand Matty in diesem Augenblick am wenigsten - dabei konnte er den Drang, sich zu verstecken, durchaus nachvollziehen -, wie sich jemand im Angesicht welchen Traumas auch immer dem Trost einer Frau wie der von Marcus entziehen konnte.
Um halb vier Uhr morgens bot sich vor der Eldridge Street 27 ein relativ gewohntes Bild: die letzten Barhopper staksten durch den Torkelzoo, nicht selten so, als stünden sie zum ersten Mal auf Schlittschuhen. Ein Junge auf der Rückbank eines Taxis blickte bei geöffneter Wagentür auf das Knäuel feuchten Wechselgelds im Bemühen, den Taxometer zu begreifen, die Straße hoch streckte ein bärtiger Mann seinen bloßen Oberkörper aus einem Fenster im fünften Stock, brüllte, sie sollten alle die Fresse halten und sich nach New Jersey verziehen, und knallte das Fenster so heftig herunter, dass es zu Pfiffen und Applaus von unten Glasscherben regnete.
»Verzeihung«, sagte der hagere Detective von der Nachtschicht zu dem zerzausten Mann, der auf der obersten Stufe über dem wachsenden Schrein hockte. »Wie geht es Ihnen?«
»Gut.« Der Kerl sah aus wie menschlicher Ruß.
»Wohnen Sie hier?«
»Nicht ganz.«
»Sind Sie aus der Gegend?«
«Ursprünglich, ja.«
»Letzte Nacht etwa um diese Zeit wurde hier vor diesem Haus geschossen, haben Sie davon gehört?«
«Ja.« Er kratzte sich heftig am Hals.
»Wir suchen Menschen, die zu der Zeit in der Nähe waren, möglicherweise was gesehen oder gehört haben.«
«Tut mir leid.«
»Schon gut.« Der Detective ging ein paar Schritte, kehrte dann um. »Darf ich fragen, was Sie hier jetzt gerade machen?«
»Ich?« Der Mann zuckte die Schultern. »Ich warte auf jemanden.«
Yolonda, die sich freiwillig zur Nachtschicht gemeldet hatte, um nicht nach Hause zu müssen oder in den abstoßenden Ruheraum, saß in einem Sedan auf der anderen Straßenseite und sah ihren Partner von der Unterhaltung mit dem Vater des Toten zurückkommen. Auf sie wirkte es, als würde Marcus oben auf den Stufen sitzen bleiben, bis die Zeit es irgendwie fertigbrachte, sich selbst zurückzudrehen.
»Das ist so traurig«, sagte sie zu dem Kollegen, als er sich wieder ins Auto setzte.
»Was?«
»Als würde er darauf warten, dass sein Sohn zurückkehrt, nicht?«
«Das ist der Vater?« Er schreckte zurück. »Schön, dass ich das auch mal erfahre.«
»Der Arme«, sagte Yolonda. »Ich hoffe bloß, der geht uns damit nicht
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