Cassia & Ky – Die Ankunft: Band 3 (German Edition)
verstehe ich«, stimme ich zu. »Aber das Wahlalter wurde nun mal auf siebzehn festgelegt.«
»Wie für das Paarungsbankett«, bemerkt Bram. »Meinst du, dass ich zum Bankett gehen werde?«
»Könnte sein«, erwidere ich. »Aber ich hoffe nicht.«
»Ich habe hier etwas für dich«, sagt Ky, streckt die Hand aus und hält mir das Röhrchen mit Großvaters Gewebeprobe hin, die, die wir in der Höhle gefunden haben und die Ky für mich in einem Baum versteckt hat.
»Wann hast du sie denn geholt?«, frage ich.
»Gestern«, antwortet Ky. »Wir waren wieder in den Äußeren Provinzen und haben nach Überlebenden gesucht.« Nachdem die zweite Welle der Seuche unter Kontrolle war, erlaubte der Steuermann Ky und einigen anderen, nach Vermissten zu suchen, zum Beispiel Patrick und Aida. Die Hoffnung bestand, dass einige es vielleicht zu dem ehemaligen Lager der Erhebung in der Nähe des Sees geschafft hatten.
Doch die Suche ist bisher ergebnislos verlaufen.
»Diese hier habe ich auch mitgebracht«, sagt er. »Es ist die, die Eli gerettet hat.« Er hält sie mir hin, und ich lese das Etikett: Roberts, Vick.
»Ich dachte, du hältst die Gewebeproben für Unfug«, sagt Bram.
»Stimmt«, antwortet Ky. »Aber ich finde, wir sollten diese hier jemandem geben, der ihn geliebt hat, um eine Entscheidung zu treffen, was damit geschehen soll.«
»Meinst du, Lei wird sie annehmen?«, frage ich Ky, denn natürlich hat er sie gemeint.
»Ja, das glaube ich«, sagt Ky, »aber sie wird sie nicht aufbewahren.«
Denn sie und Xander sind jetzt ein Paar. Sie hat sich entschlossen, noch einmal zu lieben.
Manchmal hat es mich geärgert, dass mir Großvater nicht genau gesagt hat, für welches Gedicht ich mich entscheiden sollte. Aber inzwischen weiß ich, was er mir geschenkt hat: die Freiheit der Wahl. So ist es immer gewesen.
»Es fällt mir schwer«, sage ich, Großvaters Röhrchen in der Hand. »Ich wünschte, ich hätte die Gedichte behalten. Das würde es mir leichter machen. Dann wäre mir wenigstens etwas von ihm geblieben.«
»Manchmal ist Papier einfach nur Papier«, tröstet mich meine Mutter. »Und Worte sind nur Worte. Möglichkeiten, das wahre Leben einzufangen. Scheue dich nicht, daran zu denken.«
Ich weiß, was sie meint. Schreiben, Malen, Singen – damit kann man nicht alles heilen. Den Tod nicht aufhalten. Aber vielleicht kann es dabei helfen, die Zeitspanne zwischen den Schritten des Todes zu verschönern, das Warten auszufüllen und es auszuhalten, ohne in ständiger Angst zu leben. Denn wir alle begleiten einander auf unserem Weg dem Tod entgegen, und die Reise zwischen den Schritten macht unser Leben aus.
»Auf Wiedersehen«, sage ich zu Großvater und zu meinem Vater, halte das Röhrchen in den Fluss und warte einen Moment. Wir halten die Entscheidungen unserer Väter und Mütter in unseren Händen, und indem wir daran hängen oder sie durch unsere Finger gleiten lassen, werden ihre Entscheidungen zu unseren.
Ich öffne das Röhrchen und halte es ins Wasser, lasse das letzte Überbleibsel von Großvater wegfließen, genau wie er es gewollt und worum er meinen Vater gebeten hat.
Ich wünschte, die beiden könnten das alles sehen: grüne Felder, mit dem Heilmittel für morgen bepflanzt, blauer Himmel, eine rote Flagge oben auf der Stadthalle, die die Bevölkerung zur Wahl ruft.
»Wie damals auf dem Hügel«, sagt Ky, erhascht meinen Blick und zeigt hinauf zur Flagge.
»Ja«, sage ich und erinnere mich an die Berührung seiner Hand, als wir die roten Stoffstreifen an die Bäume mit gebrochenen Zweigen banden.
Jenseits der Stadt Camas ragen in der Ferne blau, violett und weiß die Berge auf.
Ky und ich haben gemeinsam den Hügel erklettert. Xander lebt in den Bergen.
Obwohl Xander fort ist, obwohl nicht alles nach Wunsch verlaufen kann, erfüllt mich das Wissen mit Zufriedenheit, dass etwas Gutes, Aufrechtes und Wahres Teil von mir war. Dass ich den Segen, das Geschenk, die gute Vorsehung und das unwahrscheinliche Glück hatte, jemanden wie ihn zu kennen, mit ihm durch Feuer, Wasser, Stein und Himmel zu wandern und anschließend gestärkt daraus hervorzugehen, stark genug, ihn loszulassen.
Ich kann jetzt schon spüren, wie mir manches durch die Finger gleitet wie Sand und Wasser, wie Artefakte und Gedichte, wie alles, was man umklammern möchte und nicht behalten kann.
Doch wir haben eine große Leistung vollbracht. Was immer als Nächstes geschieht, wir haben dazu beigetragen, ein Heilmittel zu finden
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