Casteel-Saga 01 - Dunkle Wasser
zu werden«, war das einzige, was ich herausbrachte.
»Mir scheint aber, daß es dir sehr gut gelungen ist, erwachsen zu werden – und Formen anzunehmen.« Sein zögerndes, verwirrtes Lächeln verschwand, und seine Augen blickten mich ernst an. Einen Augenblick lang glaubte ich in seinen stürmischen, blauen Augen ein Meer von Hingabe und Liebe zu sehen. Für mich, für mich! Eine Ewigkeit voller Liebe, Zuneigung und Treue. Ein Stich durchfuhr mich, und sekundenlang fühlte ich so etwas wie Hoffnung – obwohl sie nie und nimmer bestehen konnte.
»Was ist denn los?« wollte er wissen, da ich nun das Tempo meiner Schritte steigerte. »Habe ich etwas falsch gemacht? Schon wieder? Erinnerst du dich an den Tag, an dem wir uns einander versprochen haben?«
Ja, auch ich erinnerte mich an jenen wunderschönen Tag; wir hatten am Fluß gelegen und uns kindlichen Herzens gegenseitig ewige Liebe geschworen. Heute wußte ich es besser: Nichts dauert ewig.
Damals war es so leicht gewesen, sich alles zu versprechen, denn wir hatten nicht damit gerechnet, daß wir uns ändern würden. Aber jetzt hatte sich alles geändert. Ich war es nicht wert – falls ich es jemals gewesen war –, ihn zu bekommen. Eigenartig, zu dem Gesindel aus den Bergen zu gehören, war nicht so erniedrigend gewesen, wie das zu sein, was ich, seitdem Cal mich berührt hatte, geworden war – ein ganz gewöhnliches Luder, das sich an jeden Mann ranschmiß.
»Und du hast wohl nie eine Freundin außer mir gehabt?« Bitterkeit schwang in meiner Stimme, aber er schien sie zu überhören.
»Ich bin nur gelegentlich mit jemandem ausgegangen, nichts von Bedeutung.«
Wir hatten Martins Road erreicht. An der Ecke stand ein monströses Gebäude, dessen grünliche Farbe mich an Kittys Augen erinnerte.
Es hatte einen großen Hof mit einem tadellos gemähten Rasen. Schwer sich vorzustellen, daß Großvater in einem so großen Haus lebte. Die alten Schaukelstühle auf der Veranda waren alle leer. Warum saß Großvater nicht auf der Veranda und schnitzte?
»Wenn du willst, warte ich hier draußen solange.«
Ich blickte unentwegt zu den hohen, schmalen Fenstern hinauf und dachte an all die Treppen, die das Haus wohl haben mußte, und daß Großvater jetzt vielleicht ebenso gebrechlich und schlecht zu Fuß war wie einst Großmutter.
Die Straße, an der sich das Altenheim befand, säumte links und rechts eine Reihe Pappeln. Die Häuser machten einen gepflegten Eindruck. Jedes Haus hatte einen Vorgarten, und auf jeder Veranda lag die Morgenzeitung, oder sie war halb unter die Tür geschoben. Hausväter in nachlässiger Morgenkleidung führten die Hunde an der Leine spazieren.
Im Traum hatte ich Winnerrow oft besucht, da waren die Straßen dunkel und verlassen, und kein Hundegebell, kein Vogelgezwitscher, kein einziger Laut war zu hören gewesen. Es waren Angstträume gewesen, in denen ich einsam, vollkommen einsam, durch die Straßen gewandelt war und nach Unserer-Jane, Keith und Tom gesucht hatte, aber niemals nach Großvater, als wäre ich unbewußt immer davon überzeugt gewesen, daß er da oben in der Hütte irgendwie überleben könnte, weil ich es mir so wünschte.
Logan wandte sich wieder an mich. »Ich habe gehört, daß Großvater beim Saubermachen hilft, um für Bett und Verpflegung aufzukommen, wenn dein Vater vergessen hat, das Geld an Sally Trench zu überweisen oder zu spät dran ist.«
Die Sonne stand kaum über dem Horizont, aber hier im Tal war es schon glühend heiß und stickig. Keine erfrischende Brise kam auf wie in den Willies. Dabei hatte ich immer gedacht, hier unten im Tal sei das Paradies.
»Gehen wir«, sagte Logan, hielt mich am Ellbogen, geleitete mich über die Straße und den Pfad aus Pflastersteinen hinauf zum Haus. »Ich werde hier draußen auf der Veranda warten. Laß dir Zeit. Ich kann ja noch den ganzen Tag – das ganze Leben – mit dir verbringen.«
Eine dicke, schmuddelig wirkende Frau, Mitte Fünfzig, öffnete auf mein schüchternes Klopfen die Tür. Sie beäugte mich höchst interessiert, dann riß sie die Tür auf und bat mich herein.
»Ich habe erfahren, daß mein Großvater, Mr. Toby Casteel, hier bei Ihnen untergebracht ist«, verkündete ich.
»Ist er auch, Schätzchen, ist er – sind ja ein mächtig hübsches Ding. Nein wirklich, ein hübsches Ding. Mag Ihre Haarfarbe, diese schönen Lippen – ist ja direkt ‘n Kußmund.« Seufzend blickte sie zum nächstliegenden Fenster hinüber und betrachtete finster ihr
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