Casteel-Saga 01 - Dunkle Wasser
fielen. Er stand am anderen Ende der kleinen Brücke, die über einen Bach führte. Hinter ihm wuchs das gelbe wilde Gras, und die Sonne hatte sich in seinen Haaren und seinen Augen verfangen. Und wenn ich tausend Jahre alt werde, ich werde es nie vergessen, wie er lächelte und mir zuwinkte. »Okay. Heaven Leigh Casteel ist vom heutigen Tag an mein.«
Ich sang auf dem ganzen Nachhauseweg, glücklich wie nie zuvor. Ich hatte meinen Vorsatz, mich niemals vor meinem dreißigsten Lebensjahr zu verlieben, vollkommen vergessen.
»Siehst ja ganz glücklich aus«, bemerkte Sarah mit einem Seufzer, als sie kurz vom Waschbrett hochblickte. »War es ein guter Tag?«
»Ja, Mutter, ein sehr guter.«
Fanny steckte ihren Kopf aus der Tür. »Mutter, Heaven hat sich einen Jungen aus dem Tal unter den Nagel gerissen… Weißt ja, zu welcher Sorte die gehören.«
Sarah seufzte erneut. »Heaven, du hast ihn doch nicht rangelassen… oder?«
»Mutter«, empörte ich mich. »Du weißt doch, daß ich das nie tun würde!«
»Tut sie doch!« schrie Fanny aus der Tür. »Sie benimmt sich ganz schamlos mit den Jungs in der Garderobe, wirklich schamlos!«
»Na warte, du gemeine Lügnerin!« Ich stürzte auf sie zu, aber Tom schubste sie aus der Tür hinaus in den Hof, wo sie hinfiel und sofort zu heulen anfing. »Mutter, Heavenly treibt sich nicht herum.
Fanny selbst ist das schamloseste Mädchen in der ganzen Schule, und das will was heißen.«
»Ja, ja«, murmelte Sarah und reichte mir die Wäsche, »das will wirklich was heißen. Weiß schon, welche es am schlimmsten treibt, braucht’s mir nicht zu erzählen. Ist meine Indianer-Fanny, das Teufelsmädel mit ihrer Wildheit und den koketten Augen, die sie früher oder später in die gleiche Misere stürzen werden, in der ich gelandet bin. Heaven, bleib bei deinem Vorsatz und sag immer nein! – Zieh jetzt das Kleid aus und fang mit der Wäsche an. Fühl’ mich in letzter Zeit nicht so gut. Versteh’ gar nicht, warum ich jetzt dauernd so müde bin.«
»Solltest vielleicht zum Doktor gehen, Mutter.«
»Mach’ ich, wenn man es umsonst kann.«
Ich erledigte die Wäsche und hängte sie mit Toms Hilfe auf die Wäscheleine. Als wir damit fertig waren, sah es aus wie ein paar Meter Lumpen. »Magst du Logan Stonewall?« fragte mich Tom.
»Ja, glaub’ schon…« sagte ich und wurde dabei rot.
Tom sah bedrückt aus, gerade so, als könnte Logan eine Mauer zwischen uns aufrichten. Aber nichts und niemand auf der Welt wäre dazu imstande gewesen.
»Aber, Tom, vielleicht schenkt dir Miß Deale neue Wasserfarben…«
»Ist egal. Werd’ sowieso kein Maler. Werd’ bestimmt nichts besonderes, wenn du nicht da bist und mir Selbstvertrauen gibst.«
»Wir werden immer zusammenbleiben, Tom. Wir haben es uns doch geschworen, zusammen durch dick und dünn zu gehen.«
Später am Abend schimpfte ich Fanny für ihr Benehmen aus und warnte sie vor den möglichen Folgen. Sie brauchte mir nichts vorzumachen; bei einer der seltenen Gelegenheiten, in der wir wie Schwestern, die einander brauchten, gewesen waren, hatte sie mir gestanden, wie sehr sie die Schule haßte, die ihr nur die Zeit stahl. Schon sehr früh – mit kaum zwölf Jahren – interessierte sie sich für ältere Jungen, die sie wohl ignoriert hätten, wenn sie nicht so hinter ihnen her gewesen wäre. Sie genoß es, wenn die Jungens sie auszogen, mit der Hand in Fannys Unterhose faßten, sie liebkosten und sie dabei aufregende und lustvolle Gefühle empfand. Es beunruhigte mich, als sie mir das erzählte, aber es machte mir noch sehr viel mehr Sorgen, als ich Zeugin wurde, wie sie sich in der Garderobe benahm.
»Werd’s nicht mehr tun, bestimmt, ich lass’ sie nicht mehr«, versprach Fanny, die schläfrig und daher bereit war, auf jede Forderung einzugehen und sogar meinem Befehl zu gehorchen, endgültig mit den Jungens aufzuhören.
Gleich am nächsten Tag, trotz ihres Versprechens, war sie wieder dabei, gerade als ich sie von ihrer Klasse abholen wollte. Ich zwängte mich in die Garderobe und riß Fanny von einem pickelgesichtigen Jungen aus dem Tal weg.
»Deine Schwester ist nicht so verdammt hochnäsig und etepetete wie du«, zischte mich der Junge an.
Dabei kicherte Fanny die ganze Zeit.
»Laß mich in Ruh«, schrie Fanny, während ich sie wegschleppte. »Vater behandelt dich wie Luft, deshalb hast du keine Ahnung, wie gut es ist, mit Jungs und Männern zusammen zu sein. Wenn du mich weiter so gängelst, ich soll nicht
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