Casteel-Saga 01 - Dunkle Wasser
geht in die Schule. Ich bleib’ zu Hause und pass’ auf Großvater auf, wasche und koche. Das kann ich ja«, fügte ich trotzig hinzu.
»Aber du gehst gerne in die Schule und Fanny nicht.«
»Egal. Fanny hat nicht das nötige Verantwortungsgefühl, um hier zu bleiben und den Haushalt zu führen.«
»Sie benimmt sich absichtlich so«, meinte Tom mit Tränen in den Augen. »Heavenly, egal, was du sagst, ich geh’ zu Miß Deale und erzähl’ ihr alles. Vielleicht fällt ihr etwas ein, das uns helfen kann.«
»Nein, das darfst du nicht! Denk doch an unseren Stolz, Tom; er ist das einzige, was uns bleibt. Wir sollten auf das achten, was uns wichtig ist und was wir schätzen können.«
Stolz zu sein, war für uns beide sehr wichtig. Vielleicht weil man sich aus freien Stücken dazu bekennen konnte und weil unser Stolz uns das Gefühl vermittelte, etwas Besonderes zu sein. Tom und ich, wir beide, wollten der Welt etwas beweisen. Fanny hingegen war anders. Sie hatte bereits gezeigt, daß sie unzuverlässig war.
7. KAPITEL
V ERLASSEN
Jeden Tag eilte Tom von der Schule nach Hause, um mir beim Wäschewaschen, beim Fußboden scheuern und bei der Pflege von Unserer-Jane zu helfen. Manchmal mußten wir auch wie die Wilden hinter unseren Schweinen, Ferkeln und Hühnern herjagen, die durch unseren wackligen Zaun entkommen waren. Ein Tier nach dem anderen wurde dann auch entweder von einer Wildkatze oder einem Fuchs geschnappt oder von einem Landstreicher gestohlen.
»Hat Logan heute wieder nach mir gefragt«, erkundigte ich mich, nachdem ich drei Tage nicht in der Schule gewesen war.
»Allerdings. Hat mich nach der Schule abgepaßt und wollt’ wissen, wo du bleibst. Und wie’s dir geht. Warum du nich’ mehr kommen tust. Hab’ ihm gesagt, Sarah ist noch krank und Unsere-Jane, und daß du nun eben zu Hause bleiben mußt und alle pflegen. Meine Güte, so’n unglückliches Gesicht wie dem seins hab’ ich noch nie gesehen.«
Es freute mich zu erfahren, daß Logan etwas für mich empfand, aber ich war gleichzeitig empört darüber, daß ich so tief in Problemen steckte: Mein Vater hatte Syphilis; meine Stiefmutter war vor ihrer Verantwortung einfach davongelaufen. Das Leben war wirklich ungerecht! Ich war auf die ganze Welt wütend, besonders auf Vater. Er war es, der alles ausgelöst hatte. Aber was tat ich? Ich schimpfte mit dem Menschen, der mir doch der liebste auf der ganzen Welt war. »Hör auf mit deinem kommen tust statt kommen – und deinem ewigen nich’ statt nicht.«
Tom grinste. »Ich liebe dich, Heavenly. Hab’ ich das richtig ausgesprochen? Ich weiß es sehr zu würdigen, was du für unsere Familie alles machst… stimmt das so? Ich bin froh, daß du so bist, wie du bist und nicht wie Fanny.«
Ich schluchzte, drehte mich zu ihm um und fiel ihm in die Arme. Er war das einzig Gute in meinem Leben, dachte ich. Aber wie konnte ich ihm das sagen, jetzt, wo ich mich gerade nicht besonders nett benommen hatte, sondern zynisch und ungerecht gewesen war?
Zwei Wochen nachdem Sarah uns verlassen hatte, schaute ich zufällig aus dem Fenster und sah Tom mit Büchern bepackt nach Hause marschieren – und neben ihm ging Logan! Tom hatte also sein Wort gebrochen und Logan von unserer verzweifelten Situation erzählt!
Ich rannte sofort zur Tür, um ihnen den Eintritt zu verwehren. »Laß uns rein, Heavenly«, befahl Tom. »Dafür daß du wie ein Rausschmeißer in der Tür stehst, ist es einfach zu kalt hier draußen.«
»Laß sie endlich rein!« schrie Fanny. »Es zieht entsetzlich.«
»Ich will nicht, daß du hereinkommst«, sagte ich feindselig zu Logan. »Stadtjungen wie dich würde es hier vor Ekel schütteln.«
Ich sah, wie seine Lippen ganz schmal wurden, er war sichtlich unangenehm überrascht, sagte dann aber ruhig und entschlossen: »Heaven, geh beiseite. Ich komme jetzt herein. Ich will endlich genau wissen, warum du nicht mehr zur Schule kommst – und außerdem hat Tom recht. Es ist wirklich kalt hier draußen. Meine Füße sind schon Eisklumpen.«
Ich rührte mich immer noch nicht. Tom stand hinter Logan und gab mir wie wild Zeichen, daß ich endlich aufhören solle, mich wie ein Idiot zu benehmen. Ich solle Logan hereinlassen. »Heavenly, du vergeudest unser ganzes Holz, wenn du die Tür noch weiter aufläßt.«
Ich wollte die Tür eben schließen, als Logan mich zur Seite schob und – dicht gefolgt von Tom – hereintrat. Sie mußten die Tür gemeinsam zudrücken, so stark
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