Casteel-Saga 01 - Dunkle Wasser
ihn auf dem sichersten Weg durch den Wald hinabzubegleiten, damit er sich nicht verirrte, gerade weil er diese verdammte Sonnenbrille trug.
»Mann, warst du ekelhaft zu Logan«, sagte Tom, als er zurückkehrte. »Hab’ richtig Mitleid mit ihm gehabt, daß er den ganzen Weg halb blind heraufgetrabt ist, nur um ein scheußliches Mädchen zu besuchen, das ihn mit ihren Augen angeblitzt hat und so verrückt ist, ihm die Hucke voll zu lügen… Du weißt doch, daß wir kaum was haben. Er hätte uns helfen können.«
»Tom, soll wirklich jeder erfahren, daß Vater… du weißt schon was… hat.«
»Nein… Aber müssen wir ihm von Vater erzählen?«
»Wir müssen doch einen Grund finden, warum er nicht da ist, oder? Wahrscheinlich nimmt Logan an, daß er immer noch kommt und geht und uns mit Essen versorgt.«
»Da haste recht«, stimmte Tom mir zu, der immer dann schlampig sprach, wenn er entmutigt und hungrig war. »Auf zu den Angeln, Fallen – und haltet mir die Daumen.« Kaum hatte er seine Hände aufgewärmt, verließ er wieder die Hütte auf der Suche nach Nahrung. Wir konnten unsere Legehennen nie behalten, weil sie in unserem Kochtopf immer einen allzu frühen Tod fanden.
Nachdem Sarah uns verlassen hatte, wurde das Leben nicht nur um einiges schwerer, sondern auch komplizierter. Wir konnten uns kaum noch das Lebensnotwendigste kaufen. Wir hatten nur noch so wenig Petroleum, daß wir Kerzen benutzten.
Die Stunden schlichen nun immer dahin wie eine halbe Ewigkeit, bis das Leben wieder begann, wenn Tom mit Fanny und Keith und manchmal auch mit Unserer-Jane wieder nach Hause kam. Ich wollte mir einreden, daß Großvater kein Problem sei und daß ich, wenn Unsere-Jane wieder ganz gesund war, in die Schule gehen könne. Er würde schon selbst auf sich aufpassen. Aber ich brauchte ihn mir nur anzusehen, um eines Besseren belehrt zu werden; er war vollkommen hilflos ohne Großmutter. »Geh schon«, sagte Großvater einmal zu mir, nachdem ich die Hütte aufgeräumt hatte und mir den Kopf zerbrach, was wir an diesem Tag essen sollten. Es war kurz vor Thanksgiving. »Brauch’ dich nicht. Komm’ allein zurecht.«
Vielleicht stimmte das auch, aber am nächsten Tag war Unsere-Jane wieder erkältet. »Hunger«, wimmerte sie und zupfte an meinem Schürzenkleid. »Will essen.«
»Natürlich, Liebes. Ruh dich nur aus und schlüpf ins Bett. Gleich ist das Essen fertig.« Wie leicht mir das über die Zunge ging, obwohl wir nichts im Haus hatten außer etwas angeschimmeltem Brot und einer halben Tasse Mehl. Warum war ich bloß nicht sparsamer mit dem Essen umgegangen, das Sarah uns zurückgelassen hatte? Warum klammerte ich mich an den Glauben, daß Vater wie durch ein Wunder auftauchen würde, wenn unsere Vorräte ausgegangen waren? Wo war er überhaupt?
»Tom, kann man eigentlich bei Dunkelheit angeln?« fragte ich.
Er blickte erstaunt von seinem Buch hoch. »Willst du, daß ich im Dunkeln angeln geh’?«
»Du könntest ja gleichzeitig bei den Hasenfallen nachsehen.«
»Hab’ schon nachgesehen, auf dem Weg von der Schule. War nichts. Wie soll ich sie in der Nacht finden, wo ich sie doch so gut versteckt hab’?«
»Dann mußt du jetzt angeln gehen«, flüsterte ich ihm ins Ohr, »sonst haben wir nichts weiter zu essen als etwas Brot, und ich kann von Glück sagen, wenn ich etwas Griebenschmalz zusammenkratzen kann.« Ich mußte sehr leise sprechen; wenn Unsere-Jane oder Keith mich gehört hätten, dann wäre ein unerträgliches Gezeter nicht zu vermeiden gewesen. Unsere-Jane mußte regelmäßig essen, sonst bekam sie Bauchschmerzen. Und wenn sie Bauchschmerzen hatte, fing sie zu weinen an. Und wenn sie weinte, war es unmöglich, irgend etwas zu tun.
Tom stand auf und nahm die Schrotflinte, die an der Wand hing, herunter. Er reinigte sie. »Die Jagdsaison hat grad begonnen… Vielleicht läuft mir was vor die Flinte.«
»Heißt das, daß wir nichts zu essen haben, wenn du nichts erwischst?« kreischte Fanny. »Jesus, da gehen wir ja ein, wenn wir von deinen Schießkünsten abhängig sind!«
Tom stakste zur Tür und sah Fanny noch einmal lange und voller Abscheu an. »Also, mach dein Griebenschmalz fertig – in einer halben Stunde bin ich mit einem Stück Fleisch zurück – wenn ich Glück habe«, sagte er und wandte sich lächelnd zu mir.
»Und wenn du keins hast?«
»Ich komm’ nicht eher nach Hause, bis ich was hab!«
»Also dann«, sagte Fanny, rollte sich zur Seite und starrte in einen kleinen,
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