Casteel-Saga 01 - Dunkle Wasser
ich, wie der kalte Wind durch die Wände drang und durch die geborstenen Bodenplanken und schlecht eingefügten Fensterrahmen pfiff. Zum ersten Mal in meinem Leben kam mir die Hütte völlig unwirklich vor. Ich sah das Restaurant mit seinen weißen Wänden vor mir, den dunkelroten Teppich, die schönen Möbel. Als ich darüber nachdachte, daß ich dort gerade die beste Mahlzeit meines Lebens gegessen hatte, wurde mir bewußt, wie elend es uns ging, und ich fing an zu weinen.
Heute abend würde ich auf den Knien das längste und aufrichtigste Gebet meines Lebens sprechen. Ich würde Stunden beten. Diesmal mußte Gott mich erhören und uns Vater nach Hause schicken.
Und am nächsten Tag war ich wieder schon bei Tagesanbruch auf den Beinen, stand singend am Herd, bereitete alles für Tom vor und machte mich dann gleich an die Arbeit, das Haus so sauber und ordentlich wie möglich herzurichten, wobei ich Fanny bat, mir zu helfen.
»‘s wird nicht schöner«, murrte sie. »Kannst schrubben, abstauben und fegen, ‘s wird immer stinken.«
»Nein, wird es nicht. Nicht wenn wir beide mit der Arbeit fertig sind; ‘s wird hier richtig glitzern und glänzen – also mach dich dran, du Faultier, und erledige deinen Teil, sonst bekommst du nichts!«
»Sie wird mich nicht übergehen, das weiß ich ganz genau!«
»Willst du, daß sie sich auf einen schmutzigen Stuhl setzt?«
Das wirkte. Fanny bemühte sich, aber nach knapp einer Stunde ließ sie sich auf ihre Schlafdecke fallen, rollte sich herum und schlief weiter. »Damit die Zeit schneller vergeht«, murmelte sie. Ich sah, daß auch Großvater in seinem Schaukelstuhl döste und auf das Wunder namens Miß Deale wartete, das um halb fünf Uhr Nachmittag erscheinen sollte.
Es wurde halb fünf, und keine Miß Deale kam.
Es war schon beinahe dunkel, als Tom schließlich zurückkam – mit einem kleinen Brief von Miß Deale.
Meine liebe Heaven,
als ich gestern abend nach Hause kam, lag ein Telegramm unter meiner Tür. Meine Mutter liegt schwerkrank im Krankenhaus. Ich muß leider sofort zu ihr fliegen. Falls Du mich brauchst, bitte rufe mit Rückruf die Nummer an, die ich unten aufgeschrieben habe.
Ich werde Euch einige Sachen schicken, die Ihr vielleicht brauchen könnt. Bitte, nimm die Geschenke von mir an; ich liebe Euch wie meine eigenen Kinder.
Marianne Deale
Sie hatte eine Telephonnummer aufgeschrieben – und dabei wohl vergessen, daß wir überhaupt kein Telephon besaßen. Ich sah Tom seufzend an. »Hat sie sonst noch irgend etwas gesagt?«
»Viel. Wollt’ wissen, wann Vater wiederkäm’. Wollt’ wissen, was wir so alles brauchen und welche Kleider- und Schuhgröße jeder von uns hat. Sie flehte mich an, ihr zu sagen, was wir am dringendsten benötigen. Aber was hätt’ ich ihr sagen sollen, unsere Wunschliste wär’ ja kilometerlang geworden! Wir brauchen eigentlich alles dringend und am dringendsten Essen. Und weißt du, ich bin wie ein Esel dagestanden und hätte mir gewünscht, ich wär’ wie Fanny und könnt’ alles laut rausschreien. – Aber ich brachte keinen Ton raus, und nu’ ist sie weg. Der einzige Mensch, der freundlich zu uns war, ist weg.«
»Aber sie wird uns Geschenke schicken.«
Er lachte. »Nanu, wo ist dein Stolz geblieben?«
Drei Tage vergingen, aber es kamen keine Geschenke.
Am Tag vor Weihnachten kehrte Tom mit schlechten Nachrichten zurück. »Bin in den Laden gegangen, von dem mir Miß Deale erzählt hat, und hab’ nachgefragt, wo die Sachen bleiben. Die sagten dort bloß, daß sie in unsre Gegend keine Lieferungen machen. Ich hab’ mit ihnen gestritten, aber sie bestanden darauf, daß wir warten sollen, bis Miß Deale zurückkam’ und eine Gebühr zahlen tät. Heavenly, wahrscheinlich haben sie’s ihr nicht gesagt, sonst hätt’ sie’s bestimmt erledigt. Das weiß ich ganz genau.«
Ich zuckte mit den Achseln, als wäre es mir gleichgültig. Na gut, wir würden es auch so schaffen. Aber ich war doch traurig.
Am nächsten Tag aber tobte ein echtes Winterunwetter im Gebirge, auf das wir nicht vorbereitet waren. Überall stopften wir Stoffetzen in die Ritzen – unter die Türen, zwischen die Fußplanken und die klappernden Fenster. Unsere Hütte sah jetzt von innen wie ein altes, gestricktes Kopftuch aus und bot – trotz der Kälte, der Kakerlaken und Spinnen – eine gute Unterkunft. Im Gebirge ging die Sonne jetzt sehr rasch unter, und im Handumdrehen wurde es dunkel. In der Nacht sank die Kälte wie eine
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