Casteel-Saga 01 - Dunkle Wasser
das alles zu genießen.
»Hörst du mir überhaupt zu, Mädchen?« drang Kittys schrille Stimme an mein Ohr; ich fühlte mich vor Erschöpfung zunehmend benebelter. »Die Farbe, die Tapete und der Teppich, alles ist funkelnagelneu – wie man leicht erkennen kann. Ich will, daß es so bleibt. Es wird also deine Aufgabe sein, alles so zu erhalten. Hast du verstanden?«
Ich nickte schon halb bewußtlos.
»Du sollst dir gleich von Anfang an darüber im klaren sein; ich erwarte von dir, daß du dir deinen Aufenthalt und die Mahlzeiten durch Haushaltsarbeiten, die ich noch bestimmen werde, verdienst. Bin überzeugt, daß du keine Ahnung hast, wie so’n Haushalt funktioniert, und das wird mich viel Zeit kosten. Aber du wirst’s schnell genug kapieren müssen, wenn du hier leben willst.« Wieder machte sie eine Pause und sah mich eindringlich an.
»Dir gefällt es doch hier, oder?«
Warum stellte sie mir immer wieder die gleiche Frage? Ich hatte ja kaum Gelegenheit gehabt, mehr als einen flüchtigen Blick überallhin zu werfen! Was sie mir da sagte, war mir eine Warnung; ich verlor langsam die Hoffnung, daß dies ein Zuhause sein würde. Es glich eher einem Gefängnis.
»Ja«, sagte ich und versuchte, Freude zu zeigen. »Alles ist sehr schön hier.«
»Nicht wahr?« Kitty lächelte sanft. »Im Erdgeschoß gibt’s noch ein Badezimmer. Genauso hübsch – ist für die Gäste. Ich mag’s, wenn es tipptopp sauber ist und alles glänzt. Das wird deine Aufgabe sein.«
Während der ganzen Zeit fischte Kitty nach Fläschchen und Tiegeln, die hinter verspiegelten Schranktüren verborgen waren. Bald hatte sie eine beachtliche Sammlung auf dem Regal stehen, das aus rosa Marmor, passend zur Badewanne, gearbeitet war. Im »Hausherrn«-Badezimmer war alles schwarz, rosa und gold.
»Also«, fuhr Kitty ganz sachlich und kühl fort, »zuerst müssen wir den ganzen Dreck auf deiner Haut wegschrubben. Und deine verdreckten und verlausten Haare waschen. Muß alle Läuse auf deinem Kopf töten. Dein Vater hat bestimmt alles mögliche dieser Art, und du bewegst dich ja schon seit deiner Geburt in seinem Schmutz. Meine Güte, bei den Geschichten, die man so über Luke Casteel hört, kringeln sich einem ja die Haare besser als bei einer Dauerwelle. Aber jetzt muß er den Preis zahlen für den Spaß, den er gehabt hat, einen hohen Preis.« Es schien sie zu freuen. Auf ihren Lippen lag ein unergründliches, unheimliches Lächeln.
Woher wußte sie von Vaters Krankheit? Ich wollte ihr sagen, daß er wieder gesund sei, aber ich war zu müde dazu.
»Oh, tut mir leid, Schätzchen. Hab’ ich deine Gefühle verletzt? Mußt eben verstehen, ich kann nu’ mal deinen Vater nicht leiden.«
Was sie sagte, bestätigte mir, daß ich doch die richtige Wahl getroffen hatte. Jeder, der Vater nicht mochte, hatte ein gutes Urteilsvermögen. Mit einem Seufzer lächelte ich Kitty dankbar an.
»Bin in Winnerrow aufgewachsen, meine Eltern leben immer noch dort«, fuhr sie fort, »Tatsache ist, sie würden niemals woanders leben wollen. Die Leute werden so, wenn sie nie aus ihrem Dorf herausgekommen sind. Angst vor’m Leben, so nenn’ ich’s. Angst, wenn sie in ‘ne große Stadt kommen, kennt sie keiner mehr. In Atlanta, wo ich arbeit’, gibt’s nu’ mal niemand, der ihnen was bedeuten tut. Können nu’ mal nicht das, was ich kann. Haben eben kein so’n Talent wie ich. Also, wir leben ja nu’ nicht in Atlanta, wie gesagt, aber in einem Vorort, etwa zwanzig Meilen von der Stadt entfernt; Cal und ich, wir tun arbeiten und kämpfen. Darum geht’s, um den täglichen Kampf, ich und er gegen die ganze Welt. Er gehört mir, und ich liebe ihn. Ich würd’ sogar ‘nen Mord begehen, um ihn zu behalten.« Sie schwieg und sah mich aus harten, schmalen Augen an.
»Mein Laden ist in ‘nem Hotel für reiche Leute. Kannst dir kein Haus hier in Candlewick leisten, wenn du nicht mehr als Dreißigtausend verdienst. Wenn Cal und ich arbeiten, können wir die Summe manchmal verdoppeln. Schätzchen, ‘s wird dir hier gefallen, bestimmt. Wirst in eine Schule gehen, mit drei Stockwerken, einem Hallenschwimmbad und einem Auditorium, wo sie Filme vorführen. Natürlich wirst du viel glücklicher sein als in deiner alten Klitsche… Denk nur, wirst gerade rechtzeitig für das neue Schulsemester kommen.«
Die Erinnerungen an meine alte Schule und an Miß Deale stimmten mich traurig. Dort hatte ich alles über die Welt erfahren, über eine Welt, in der Bildung,
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