Casteel-Saga 01 - Dunkle Wasser
Bücher, Malerei, Architektur und Naturwissenschaften zählten… Ich hatte mich nicht einmal von Miß Deale verabschieden können. Ich hätte freundlicher und dankbarer ihr gegenüber sein müssen. Ich hätte meinen Stolz vergessen sollen. Ich versuchte, meine Tränen zu unterdrücken. Dann gab es da noch Logan, der wegen seiner Eltern – oder aus einem anderen Grund – nicht mehr mit mir geredet hatte. Jetzt kam mir nicht nur Logan, sondern auch meine geliebte Lehrerin schon unwirklich vor. Sogar an die Hütte erinnerte ich mich nur noch vage, obwohl ich sie erst vor ein paar Stunden verlassen hatte.
Großvater schlief jetzt bestimmt, während hier noch die Geschäfte offen waren und die Leute einkaufen gingen. So wie Cal, der gerade dabei war, mir viel zu große Kleider zu besorgen. Ich seufzte tief; einige Dinge änderten sich wohl nie.
Mit bleischweren Beinen wartete ich, bis Kitty endlich die rosa Badewanne mit Wasser gefüllt hatte.
Der Dampf beschlug das Glas, füllte meine Lungen; das Badezimmer wurde so dunstig, daß Kitty meilenweit entfernt zu sein schien, und wir beide – Kitty und ich – trieben auf Wolken zum Mond in ein Land der Phantasie. Ich begann schon zu schwanken und vernahm einen Befehl von Kitty, der tatsächlich vom Mond zu kommen schien. Sie verlangte, ich solle mich ausziehen und meine ganzen Lumpen in eine Plastiktüte schmeißen. Alles, was ich trug, würde im Müll verschwinden, von der Müllabfuhr abgeholt und schließlich verbrannt werden.
Ich zog mich mit steifen Fingern aus.
»Wirst alles neu kriegen. Wir werden ein Vermögen für dich ausgeben, Mädchen. Also, denk immer dran, Kind, falls du mal Sehnsucht nach deinem Schweinestall bekommen solltest. Und jetzt zieh dich sofort aus! Mußt endlich lernen, dich zu bewegen, wenn ich’s sag’, und nicht nur dastehen und Maulaffen feilhalten. Kapiert?«
Mit vor Angst und Müdigkeit gelähmten Händen knöpfte ich mein altes Kleid auf. Warum bewegten sich meine Finger nicht etwas schneller? Irgendwie gelang es mir schließlich doch, zwei Knöpfe aufzumachen, während Kitty eine Plastikschürze aus einer Lade herauszog. »Stell dich drauf, und laß die Wäsche einfach runter. Paß bloß auf, daß nichts auf meinen sauberen Teppich oder meine Marmorplatten fällt.«
Ich stand nackt auf der Plastikschürze, und Kitty beäugte mich von oben bis unten. »Meine Güte, du bist doch gar kein kleines Mädchen mehr. Wie alt bist du denn überhaupt?«
»Fünfzehn«, antwortete ich. Während ich mich bemühte, Kittys Befehlen nachzukommen, wankte und schwankte ich auf den Beinen.
»Wann wirst du denn sechzehn?«
»Am zweiundzwanzigsten Februar.«
»Hast du schon deine Blutungen?«
»Ja, seit meinem dreizehnten Lebensjahr.«
»Mein Gott, hätt’ ich nie gedacht. In deinem Alter hatte ich schon dicke Titten. Jungens wurden heiß, wenn sie mich ansahen. Kann nicht jeder soviel Glück haben, oder?«
Ich nickte lediglich und wünschte mir, daß Kitty mich endlich allein lassen würde, damit ich mein erstes Bad in einer Keramikbadewanne genießen konnte. Offensichtlich aber hatte Kitty weder die Absicht hinauszugehen noch mich eine Minute alleine im Badezimmer zu lassen.
Mir wurde klar, daß sie bleiben würde und seufzend bewegte ich mich auf die rosafarbene Toilette zu.
»Nein! Zuerst den Sitz mit Papier abdecken.« Und nun mußte sogar diese elementare körperliche Funktion warten, bis Kitty Seidenpapier über den Sitz gebreitet hatte. Schließlich wandte sie mir den Rücken zu. Aber was nutzte mir das, wenn sie ja doch alles hören konnte, und außerdem gab es überall Spiegel, auch wenn sie von Dampf beschlagen waren!
Kitty kniete sich neben die Badewanne und sagte mir, während sie das Wasser in der Wanne prüfte: »Du mußt unbedingt im heißen Wasser sitzen. Muß dich ordentlich mit ‘ner Bürste abschrubben und deine Haare mit Kernseife waschen, um diese ganzen Nissen in deinen Haaren rauszubekommen.«
Ich wollte etwas sagen und Kitty erklären, daß ich viel öfter badete als normalerweise die Leute in den Bergen und mir einmal in der Woche die Haare wusch (ich hatte sie ja erst heute morgen gewaschen), aber mir fehlte die Energie, etwas zu meiner Rechtfertigung zu sagen. Ein Aufruhr der widersprüchlichsten Gefühle hatte mich handlungsunfähig gemacht.
Eigenartig, wie schlecht ich mich fühlte. Schreie blieben mir im Hals stecken, die Tränen gefroren mir in den Augen. Ich wollte drauflos schlagen und jemandem weh tun,
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