Casteel-Saga 02 - Schwarzer Engel
einen guten Zuhörer schätzen. Sie werden dich für einen glänzenden Unterhalter halten, wenn du die richtigen Fragen, wie z. B. erzählen Sie weiten, stellst – obwohl du vielleicht kein einziges entscheidendes Wort gesprochen hast.«
Er rieb seine Handflächen aneinander, während er mich wieder von oben bis unten musterte. »Jawohl, mit der richtigen Kleidung wirst du jetzt auch akzeptiert werden. Gott sei Dank mußt du keinen dieser schrecklichen Provinzdialekte ablegen.« Und schon versetzte er mich mit seiner langen Liste von Jillians Freunden in Panik. Sie glichen Hürden, die ich überspringen mußte. Jedes seiner Worte entfernte mich offensichtlich immer weiter von meinen Brüdern und Schwestern. Würden sie mir alle verlorengehen, jetzt, da ich für mich selbst einigermaßen festen Boden unter den Füßen gewonnen hatte? Weder Fanny noch Tom konnten als Freunde aus Boston durchgehen, nicht mit ihrem breiten Provinzdialekt. Und dann war da noch mein eigenes Problem. Wenn ich mich zu verletzt fühlte, könnte ich leicht zu etwas Falschem verleitet werden. Nur eine Person aus meiner Vergangenheit würde Tony nicht mißtrauisch machen, und das war Logan. Logan mit seinem klaren, ebenmäßigen guten Aussehen, seinen ehrlichen, aufrichtigen Augen. Aber Logan war keiner, der wegen seiner Abstammung ein trügerisches Spiel spielen würde. Er war ein Stonewall und stolz darauf, ganz anders als ich. Ich schämte mich für meinen Nachnamen und meine Herkunft.
Tony beobachtete mich. Ich bewegte mich unruhig im Schaukelstuhl.
»Bevor Jillian jetzt herunterkommt und uns mit Gerede über ihre Pläne und ihre Kleidung unterbricht, schau dir diesen Stadtplan an. Miles wird dich am Montagmorgen zur Schule fahren, und er oder ich werden dich jeden Freitagnachmittag gegen vier abholen. Wenn du später alt genug bist, kannst du selbst hin- und zurückfahren. Welches Auto hättest du denn gerne, sagen wir mal zum achtzehnten Geburtstag?«
Der Gedanke, ein eigenes Auto zu besitzen, ließ mich vor Begeisterung zittern. Eine ganze Minute lang war ich unfähig zu antworten. »Für jedes, das du mir schenkst, wäre ich dankbar«, flüsterte ich.
»Ach, komm jetzt, dein erstes Auto ist ein tolles Ereignis – laß uns was Besonderes aussuchen. Bis dahin denk darüber nach und beobachte die Autos auf den Straßen. Besuche Autohändler und schau dir Schaufenster an. Lerne, kritisch zu sein, und vor allem entwickle deinen persönlichen Stil. Sei du selbst mit etwas Besonderem.«
Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, was er meinte. Trotzdem würde ich seinen Rat annehmen und versuchen, »kritisch« zu sein. Während ich dasaß, noch immer von dem Tag, an dem ich mein eigenes Auto besitzen würde, fasziniert, breitete er den Stadtplan auf dem Schreibtisch aus. »Hier ist Winterhaven«, sagte er und deutete mit dem Finger auf einen rotumrandeten Fleck. »Und hier ist Farthy.«
Zwei Wochen nach meiner Ankunft in Boston war ich in Winterhaven aufgenommen. Troy hatte ich nicht wiedergesehen, aber ich dachte an ihn, als Tony die Wagentür für mich öffnete und ohne Umstände auf die elegante Schule zusteuerte. Das war also Winterhaven. Behaglich kuschelte es sich auf sein eigenes kleines Schulgelände unter nackten, winterlichen Bäumen. Einige immergrüne Pflanzen lockerten die Öde auf. Das Hauptgebäude aus weißen Schindeln glänzte in der frühen Nachmittagssonne. Ich hatte ein Steingebäude, eines aus Ziegeln, erwartet, nicht so etwas. »Tony«, rief ich aus, »Winterhaven sieht wie eine Kirche aus!«
»Vergaß ich denn zu erzählen, daß es mal eine Kirche war?« fragte er mit lachenden Augen. »Die Glocken im Turm dort werden jede Stunde schlagen, und in der Dämmerung spielen sie Melodien. Wenn der Wind richtig steht, hat es manchmal den Eindruck, als ob man diese Glocken in ganz Boston hören könnte. Aber vielleicht bilde ich mir das nur ein.«
Winterhaven beeindruckte mich, der Glockenturm, die Reihe kleinerer Gebäude im selben Stil wie das größere. »Du wirst in Beecham Hall Englisch und Literatur studieren«, belehrte mich Tony und deutete auf das weiße Gebäude rechts vom Haupthaus. »Alle Gebäude haben Namen, und sie bilden, wie du siehst, einen Halbkreis. Ich habe gehört, es gibt einen unterirdischen Gang, der die fünf Häuser verbindet – für die Tage, an denen der Schnee das Gehen erschwert. Du wirst im Haupthaus bleiben, das die Schlaf- und Eßräume enthält. Auch die Versammlungen finden dort statt.
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