Casteel-Saga 02 - Schwarzer Engel
würde, wenn du uns verläßt.«
Aber Tony machte Jillians mangelhaftes Interesse und Begeisterung mehr als wett. Meine Prüfungen bestand ich mit glänzendem Ergebnis – die erste Hürde war genommen. Jetzt mußte er nur noch die nötigen Hebel in Bewegung setzen, damit das Direktorat von Winterhaven Hunderte andere Mädchen auf der Warteliste überging.
Wir hielten uns in seinem schicken Privatbüro auf, als er mir die Nachricht mitteilte. Seine blauen Augen beobachteten mich gespannt. »Ich habe alles getan, um dich nach Winterhaven zu bringen. Jetzt bist du an der Reihe, dich zu beweisen. Winterhaven ist eine sehr akademische Schule. Man wird dich arbeiten lassen und dich mit intelligenten Lehrern versorgen. Ihre besten Studenten belohnen sie mit Dingen, die ihnen gut für dich erscheinen, z. B. besondere soziale Arbeiten, die du magst oder auch nicht. Wenn du an der Spitze ihrer akademischen Listen stehst, wird man dich zu Teegesellschaften mitnehmen und du wirst die Leute kennenlernen, auf die es in der Bostoner Gesellschaft tatsächlich ankommt. Man wird dich mit Konzert-, Opern- und Theaterkarten auszeichnen. Leider wird Sport in Winterhaven sehr vernachlässigt. Betreibst du irgendwelche besonderen Sportarten?«
Als ich noch in den Willies lebte, mußte ich hart für gute Noten lernen. Für sportliche Betätigung blieb weder Zeit noch Energie, wenn ich jeden Tag sieben Meilen zur Schule und sieben Meilen zurück in die Bruchbude in den Bergen gehen mußte. Zu Hause mußten die Wäsche und der Garten versorgt werden, mußte ich Sarah und Granny helfen. Das Leben bei den Dennisons in Candlewick war auch nicht viel besser gewesen. Kitty hielt mich für ihren Sklaven, und Cal wollte nur ein Spielzeug fürs Bett.
»Was ist los mit dir? Kannst du nicht antworten? Magst du Sport?«
»Ich weiß noch nicht«, flüsterte ich mit gesenkten Augen. »Ich hatte nie Gelegenheit, Sport zu betreiben.«
Zu spät bemerkte ich, daß gesenkte Augen nicht ausreichten, wenn Tony so aufmerksam war. Ich mußte meine Miene so ruhig und unbeteiligt wie möglich lassen. Bei einem raschen Seitenblick bemerkte ich einen Anflug von Mitleid in seinen Augen, als ob er weit mehr über meinen miserablen Hintergrund vermutete, als ich ihm erzählt hatte. Aber nicht in Millionen Jahren würde er den ganzen Schrecken von Armut ermessen können. Bevor er zuviel erahnte, lächelte ich rasch. »Ich bin eine ausgezeichnete Schwimmerin.«
»Schwimmen ist gut für die Figur. Hoffentlich wirst du unser Hallenbad diesen Winter weiter benutzen.«
Unbehaglich nickte ich.
Direkt über uns konnte ich Jillians Satinpantoffeln leise klappern hören, während sie ihren komplizierten Schönheitsplan vor dem Ausgehen befolgte. Einen anderen Plan hatte sie, um sich für Partys fertig zu machen und den längsten und langweiligsten zog sie vor dem Bettgehen durch.
»Hast du Jillian schon von meinem Bleiben erzählt?« fragte ich, während ich die Decke musterte.
»Nein, bei Jillian muß man nicht besonders aufpassen oder ihr ausführliche Erklärungen geben. Ihre Aufmerksamkeit reicht nicht weit, sie hängt ihren eigenen Gedanken nach. Wir lassen es einfach laufen.«
Tony lehnte sich zurück und faltete die Hände unterm Kinn. Inzwischen wußte ich, es war seine Körpersprache, um zu zeigen, daß er die Situation unter Kontrolle hatte. »Jillian wird sich an deine Anwesenheit gewöhnen und auch daran, daß du am Wochenende kommst und gehst – so wie man sich an das Brandungsgeräusch am Strand gewöhnt. Allmählich dringst du in ihre Tage, in ihr Bewußtsein ein. Mit deiner angenehmen Art und deiner Bereitschaft, ihr zu gefallen, wirst du sie gewinnen. Du darfst nur nie vergessen, dich ja nie mit ihr zu messen. Gib ihr keinen Grund, irgendwie zu vermuten, du machtest dich über ihre Versuche lustig, jeden über ihr Alter zum Narren zu halten. Denke immer nach vor dem Reden und vor dem Handeln. Jillian besitzt eine ganze Sammlung von Freunden, die das ›alterlose‹ Spiel ebenso zu spielen wissen wie sie. Aber du wirst bemerken, daß sie der Meisterschauspieler ist. Ich habe dir diese Liste ihrer Freundinnen, ihrer Männer und Kinder und auch ihrer Hobbys, Vorlieben und Abneigungen aufgeschrieben. Lies sie gründlich durch! Sei nicht allzu verbindlich, sei schlau und mache ihnen nur Komplimente, wenn sie’s verdienen. Wenn sie über Themen sprechen, von denen du nichts verstehst, sei still und höre aufmerksam zu. Du wirst staunen, wie sehr die Leute
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