Casteel-Saga 02 - Schwarzer Engel
Platz und lächelte mich an. »Nun, Heaven, gefällt es dir?«
»Es ist wunderbar«, flüsterte ich vom Anblick der vielen leeren Bücherregale, die ich bald zu füllen hoffte, nahezu überwältigt. »Ich hatte keinen Raum für mich allein erwartet.«
»Nur vom Feinsten«, scherzte er. »Habe ich dir’s nicht versprochen?« Er stand auf, kam auf mich zu und beugte sich vor, um mir einen Kuß auf die Wange zu geben. »Viel Glück und sei fleißig. Ruf mein Büro oder mich zu Hause an, wenn du irgend etwas brauchst. Ich habe meine Sekretärin beauftragt, deine Anrufe durchzustellen. Sie heißt Amelia.« Und dann zog er seine Brieftasche heraus und drückte mir zu meinem größten Erstaunen mehrere Zwanzig-Dollar-Scheine in die Hand. »Fürs Kleingeld.«
Mit dem Geld in der Hand stand ich da und sah ihn zur Tür hinausgehen. Überraschenderweise sank mein Mut und mir wurde übel. Sobald Helen Mallory Tony außer Hörweite wußte, verlor ihre Miene alles Weiche, ihre mütterliche Art verschwand, und sie musterte mich eiskalt. Sie wog und begutachtete mich, studierte meinen Charakter, meine Fehler und meine Stärken. Ihrer veränderten Miene nach befand sie mich für mangelhaft. Eigentlich sollte mich das nicht schockieren, aber das tat es doch. Sogar ihre sanfte Stimme wurde hart und laut. »Wir erwarten, daß unsere Studenten in schulischen Dingen glänzen und sich unseren Regeln, die äußerst streng sind, unterziehen.« Sie streckte die Hand aus, nahm wie selbstverständlich mein Geld und zählte rasch die Scheine. »Ich werde das für Sie in unseren Safe legen, Sie können es dann am Freitag haben. Wir mögen es nicht, wenn unsere Mädchen Bargeld, das geklaut werden kann, in ihren Zimmern aufbewahren. Geld zu besitzen schafft viele Probleme.« Meine zweihundert Dollar verschwanden in ihrer Tasche.
»Sobald die Glocke jeden Werktag um sieben Uhr morgens läutet, haben Sie aufzustehen und sich so schnell wie möglich anzuziehen. Wenn Sie am Abend vorher schon baden oder duschen, müssen Sie das nicht erst morgens erledigen. Ich schlage vor, Sie übernehmen diese Gewohnheit. Frühstück gibt’s um sieben Uhr dreißig im Erdgeschoß. Es gibt Hinweisschilder, die Sie zu den verschiedenen Plätzen führen.« Aus einer schmalen Tasche ihres dunklen Wollrocks zog sie eine kleine Karte und gab sie mir.
»Hier ist die Zuteilung für Ihre Studierklassen. Ihren Stundenplan habe ich selbst zusammengestellt, aber wenn Sie damit Schwierigkeiten haben sollten, lassen Sie es mich wissen.
Wir halten nichts von Bevorzugung, Sie werden Ihr Ansehen bei Lehrern und Klassenkameradinnen verdienen müssen. Ein unterirdischer Gang verbindet alle unsere Gebäude miteinander, darf aber nur an Tagen mit stürmischem Wetter benutzt werden. Ansonsten werden Sie draußen laufen, wo die frische Luft Ihre Lungen kräftigen wird. Sie sind hier während der Mittagszeit angekommen, aber Ihr Begleiter bestätigte mir, daß Sie schon zu Mittag gegessen haben.« Sie machte eine Pause und starrte auf meinen Scheitel, während sie auf meine Bestätigung wartete.
Erst danach fixierte sie die zwölf äußerst teuren Gepäckstücke. Ich hatte das Gefühl, Verachtung auf ihrem Gesicht zu sehen – oder Neid, das konnte ich nicht sagen. »Wir in Winterhaven prahlen nicht mit unserem Reichtum durch auffällige Kleidung. Hoffentlich beherzigen Sie das. Bis vor wenigen Jahren mußten alle unsere Studenten Uniformen tragen – das machte alles viel einfacher. Aber die Mädchen hörten nicht auf zu protestieren, und die Gönner unserer Schule stimmten ihnen bei. Deshalb tragen sie jetzt, was sie wollen.« Wieder wandte sie sich mir zu, fremd und zurückhaltend. »Für diejenigen in den beiden unteren Klassen wird das Mittagessen um zwölf serviert, für alle übrigen um zwölf Uhr dreißig. Es wird erwartet, daß Sie bei allen Mahlzeiten pünktlich erscheinen, sonst erhalten Sie nichts. Man hat für Sie einen Tisch reserviert. Ihren Sitzplatz werden Sie nicht verändern, außer wenn die Mitglieder einer anderen Tischrunde Sie zu sich einladen oder Sie diese an Ihren Tisch bitten. Abendessen ist um sechs Uhr, es gelten dieselben Regeln. Jeder Student sollte pro Semester eine Woche lang das Essen auftragen. Dieser Dienst rotiert, aber die meisten Studenten haben Spaß daran.« Sie räusperte sich, um fortzufahren. »Wir erwarten von unseren Mädchen, daß in den Zimmern nichts zu essen gehortet und keine geheimen Mitternachtspartys gefeiert werden. Sie dürfen
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