Casteel-Saga 02 - Schwarzer Engel
tönten sie im Chor, und zum ersten Mal hatte jemand außer meinem Lehrer meinen Namen ausgesprochen.
»Prima«, meinte Tony lächelnd und gab Gas. »Soweit ich sehe und höre, hast du dich anscheinend schon mit vielen angefreundet. Das ist fein. Aber ich hasse diese schlampigen Fetzen, die die Mädchen in der Schule tragen. Warum versuchen sie nur, in den besten Jahren ihres Lebens so häßlich auszusehen?«
Einige Meilen vergingen, ohne daß ich sprach. »Na los, Heaven, erzähl es mir«, drängte er. »Waren deine Kaschmir-Sachen eine Sensation? Oder haben sie dich gehänselt, weil du Kleidung trägst, die auch ihre Mütter für sie kaufen. Aber die lassen sie dann zu Hause oder tauschen sie für gebrauchte Kleidung ein.«
»Das tun sie?« fragte ich total verblüfft.
»Ich habe davon gehört. In Winterhaven ist’s irgendwie Ehrensache, die Lehrer herauszufordern und Eltern oder irgendeine andere Autoritätsperson zu bekämpfen. Es ist eine Art Boston Tea Party für Heranwachsende, die um ihre Unabhängigkeit kämpfen.«
Also hatte er genau gewußt, was er mir antat, als er alle meine Röcke, Pullis, Blusen und Hemden aussuchte, daß er mich damit zum Außenseiter und Einzelgänger stempelte. Noch immer schwieg ich.
Aus seiner Haltung entnahm ich, daß er von mir keine Klagen über irgendeinen Vorfall hören wollte. Man hatte mich ins Wasser geworfen, und jetzt lag’s an mir, nicht unterzugehen. Er drängte mich nicht dazu, meine Kleidung weiter zu tragen. Er überließ es mir, nachzugeben oder dem Druck der Altersgenossen standzuhalten. Als ich das begriff, schwor ich mir, Tony gegenüber keines meiner Probleme je zu erwähnen. Damit würde ich allein fertig werden, komme, was da wolle.
Tony fuhr schnell Richtung Farthinggale Manor, und wir waren fast da, als er die Bombe platzen ließ. »Dringende Geschäfte sind aufgetaucht, deshalb werde ich am Sonntag morgen nach Kalifornien fliegen. Jillian wird mich begleiten. Wir würden dich mitnehmen, wenn du nicht schon in der Schule eingeschrieben wärest. Unter diesen Umständen wird dich Miles am Montag zur Schule fahren und dich nächsten Freitag abholen. Jillian und ich beabsichtigen, am Sonntag in einer Woche zurückzukehren.«
Seine Neuigkeit schleuderte mich in einen Strudel!
Ich wollte nicht in einem Haus voll Diener, die ich kaum kannte, allein gelassen werden. Die Tränen, die mir plötzlich in die Augen stiegen, versuchte ich vor Tony zu verbergen. Was war bloß falsch mit mir, daß mich Leute so mir nichts dir nichts verließen?
»Jill und ich werden die Vernachlässigung dieser Woche wiedergutmachen, indem wir kommendes Thanksgiving und Weihnachten verlängern«, meinte er mit einem seltenen Anflug von liebenswürdigem Charme. »Ich gebe dir mein Ehrenwort, daß wir nach meiner Rückkehr in ein Popkonzert gehen werden.«
»Meinetwegen mußt du dir keine Sorgen machen«, erwiderte ich bestimmt, denn ich wollte ihm nicht das Gefühl geben, ich sei eine Last wie Jillian.
»Ich kann mich selbst unterhalten.« Aber in Wirklichkeit war’s anders. Der einzige Diener, der mich nicht nervös machte, war Rye Whiskey. Aber vielleicht würde auch er kalt und abweisend werden, wenn ich ihn in seiner Küche zu oft besuchte. Was würde ich bloß mit mir anfangen, nachdem ich am Freitag nachmittag nach Hause gekommen war und meine Hausaufgaben gemacht hatte?
Dann kam der Samstag morgen auf Farthinggale Manor mit Dienern, die aufgeregt herumräumten und versuchten, Jillian beim Packen für eine einwöchige Reise zu helfen. Im oberen Flur lief sie lachend auf mich zu, umarmte und küßte mich, und erweckte den Eindruck, daß ich mich vielleicht doch geirrt hatte, daß sie mich doch lieben und brauchen würde. Während wir die Stufen zum Wohnzimmer hinaufgingen, klatschte sie wie ein glückliches kleines Mädchen in die Hände. »Schade, daß du nicht mit uns kommen kannst, aber du warst ja diejenige, die um ein paar Monate Schulbesuch gebettelt und so meine ganzen Pläne für dich durchkreuzt hat.«
Beide, Tony und Jillian, ließen mich links liegen. Darüber war ich tief in meinem Innersten so verletzt, daß ich selbst etwas Verletzendes machen wollte. Und so tat ich etwas, das schlecht geplant und unklug war. Ich beschloß, Logan zu besuchen. »Außerdem«, fuhr ich fort, »beabsichtige ich diesen Nachmittag nach Boston zu gehen.«
»Was meinst du mit eigenen Plänen für diesen Nachmittag?« fragte Jillian. »Also wirklich, Heaven, ist denn Samstag
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