Casteel-Saga 02 - Schwarzer Engel
mehr als nur durch Geschenke entschädigen.«
Selbstverständlich kam das Geldverdienen vor allen familiären Verpflichtungen, das hatte ich bereits herausgefunden. »Du wirst es schon richtig machen«, meinte Tony vertrauensvoll. »Du bist jemand, der überlebt, genau wie ich. Und ich werde darauf achten, daß du alles hast, was immer du brauchst.«
Ich brauchte eine Familie, jemanden im Zuschauerraum, der mich beachtete, während ich die Urkunde erhielt! Aber ich lehnte es ab, noch länger zu betteln.
Nachdem ich begriffen hatte, Jillian und Tony würden an einem der entscheidendsten Tage meines Lebens verreist sein, schlüpfte ich bei der ersten Gelegenheit zur Hütte hinter dem Labyrinth hinüber. Troy war mein Trost, meine Zuflucht, und ohne Hemmungen platzte ich mit meinem Schmerz heraus. »Die meisten Graduierten von Winterhaven erwarten nicht nur ihre Eltern, sondern ihre ganze Familie – Tanten, Onkel, Cousinen und Freunde.«
Bei diesem Gespräch befanden wir uns außerhalb seiner Hütte. Auf unseren Knien jäteten wir beide seine Blumenbeete. Zuvor hatten wir uns schon um seinen kleinen Gemüsegarten gekümmert. Als wir mit dem Jäten und Pflanzen fertig waren, sagte ich: »Es heißt ja nicht, daß ich nicht schrecklich dankbar für alles wäre, was Tony und Jillian für mich getan haben. Dankbar bin ich schon, aber immer wenn etwas Besonderes ansteht, fühle ich mich so einsam.«
Ohne zu antworten, warf mir Troy einen verständnisvollen Blick zu.
Dabei hätte er zumindest sagen können, er würde gerne wenigstens einen Platz im Zuschauerraum ausfüllen, aber er bot sich nicht freiwillig an! Öffentliche Plätze und Veranstaltungen konnte er nicht leiden.
Am Freitag meiner Abschlußfeier fuhr mich Miles nach Winterhaven, und die Mädchen kamen zusammen, um den neuen Rolls-Royce zu bewundern, den Tony Jillian zu ihrem einundsechzigsten Geburtstag geschenkt hatte. Es war ein wunderschöner, weißer Wagen mit einem cremefarbenen Top und ebensolcher Innenausstattung. »Deiner?« fragte Pru Carraway mit großen, tief beeindruckten Augen.
»Ich kann ihn benutzen, bis meine Tante Jillian wieder zu Hause ist.«
Der helle Wahnsinn herrschte an diesem frühen Morgen bei meinem Eintreten in Winterhaven. Mädchen rannten umher, teilweise oder kaum angezogen, einige hatten noch Lockenwickler im Haar. Nur wenige lebten so wie ich in einer Entfernung, die man noch mit dem Auto zurücklegen konnte. Während ich die anderen Graduierten beobachtete, wie sie ihre Familien vorstellten, hatte ich ein grollendes und ziemlich bitteres Gefühl. Würde es denn immer so mit mir sein, daß meine Familie aus den Bergen Tausende von Meilen entfernt und nur in meinen Gedanken anwesend wäre, meine Bostoner Familie dagegen irgendwelche Entschuldigungen finden würde, um an meinen kleinen Triumphen nicht teilzunehmen? Natürlich war es Jillian, der ich Vorwürfe machte. Leicht konnte mich meine Großmutter mit Großzügigkeit überschütten, aber wenn’s darauf ankam, mir ein bißchen von sich selbst und ihrer Zeit zu geben, hätte ich draufgehen können. Und Troy wirkte manchmal so abwesend, wenn er ein neues Projekt, das seine Gedanken beherrschte, begonnen hatte. Ach, an diesem Tag bemitleidete ich mich selbst, während ich mein schönes, weißes Seidenkleid anzog, das breite Bänder aus Cluny-Spitze am Saum des weiten Rocks und an den Puffärmeln hatte. Miss Marianne Deal hatte mir einmal erzählt, sie habe genauso ein Kleid am Tag ihres High-School-Abschlusses getragen. Als sie es damals beschrieb, hatte ich mir jedes Detail eingeprägt, mit dem Gedanken, Logan würde dann da sein, um mich zu bewundern.
Während wir vierzig Mädchen uns in einem Vorzimmer aufreihten und unsere schwarzen Roben und Hüte anzogen, konnte ich durch die Tür, die ständig auf- und zuging, kurze Blicke in den überfüllten Zuschauerraum werfen, der von der hellen Junisonne erleuchtet wurde. Es war wie ein Traum, der für mich wahr wurde, nachdem ich so lange gefürchtet hatte, dieser Tag würde nie kommen. Schon wollten mir Tränen in die Augen steigen und übers Gesicht laufen. Ach, ich hatte so gehofft, Tom hätte Pa von diesem Tag erzählt! Wenn ich nur nicht so allein gewesen wäre… Einige der Mädchen hatten zehn Verwandte und mehr unter den Zuschauern. Die Jüngsten würden mit den Füßen stampfen, wie wild applaudieren und pfeifen (obwohl das schon in Winnerow als unfein gegolten hatte). Und für mich würde es nicht einmal
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