Casteel-Saga 05 - Dunkle Umarmung
beitragen wollte, schien mir außer Jennifer niemand zuzuhören.
Nach dem Abendessen war für uns alle die Studierzeit angesagt. Als die Mädchen aufstanden, um zu gehen, beugte sich Marie zu mir vor.
»Meine Party heute abend fällt aus«, sagte sie. »Ich hatte ganz vergessen, daß ich morgen eine Naturkundearbeit schreiben muß.«
»Ihre Party fällt nicht aus«, sagte ich zu Jennifer. »Sie wollen nichts mit mir zu tun haben, weil meine Eltern geschieden sind.«
»Mach dir nichts draus«, flüsterte Jennifer, als wir hinter den andern hergingen. »Sie werden schon noch darüber hinwegkommen.«
»Mir ist egal, ob sie sich damit abfinden oder nicht«, entgegnete ich, aber im tiefsten, verborgensten Winkel meines Herzens weinte ich. Warum wollte Mama, daß ich eine Schule besuchte, in der es von Mädchen aus alten Familien wimmelte, die ihre Nase so hoch in die Luft reckten, daß man ihre Augen nicht sehen konnte? Keine von ihnen würde mich je zu sich nach Hause einladen wollen, dachte ich. Warum wurde ich bloß für die Dinge bestraft, die Mama tat?
Ich wünschte mir mehr denn je, wieder zu Hause in Boston zu sein und in meine frühere Schule zu gehen, denn dort hätten mich meine Freundinnen nicht wie eine Aussätzige angesehen. Ich wäre am liebsten fortgelaufen. Ich überlegte mir sogar genau, wie sich das machen ließe. Ich würde zu Daddy ziehen und bei ihm leben, auch, wenn er ständig auf Reisen war. Alles andere war besser als das hier.
Jennifer war allerdings sehr lieb und strengte sich an, um mich aufzumuntern. Wir arbeiteten fleißig an unseren Schulaufgaben, verbrachten aber auch viel Zeit damit, uns über Mode, Musik und Jungen zu unterhalten. Wie ich hatte sie noch nie wirklich einen Freund gehabt, aber es gab einen Jungen, den sie mochte, und er besuchte Allandale, eine Jungenschule, die gelegentlich ihre Schüler zu Tanzveranstaltungen nach Winterhaven schickte.
Die Freizeit war schon vor einer ganzen Weile angebrochen, als wir unser Zimmer verließen, um ein wenig fernzusehen, aber als wir den Gemeinschaftsraum erreichten, fanden wir dort kein einziges anderes Mädchen von unserem Tisch vor, niemanden von dem »Club«, von dem Marie gesprochen hatte.
»Sie sind alle in ihrem Zimmer und feiern dort die Party. Du solltest hingehen. Ich möchte dir den Spaß nicht verderben, Jennifer«, sagte ich.
»Ich mag nicht hingehen, jedenfalls nicht, wenn du nicht eingeladen bist«, erwiderte sie. »Und außerdem benehmen sie sich schrecklich.«
»Ich kann Heuchler nicht ausstehen«, erklärte ich. Jennifer sah, wie der Zorn in meinem Gesicht aufflammte.
»Was ist?« fragte sie und hielt den Atem an.
»Gehen wir«, kommandierte ich und marschierte aus dem Gemeinschaftsraum.
»Wohin?« rief Jennifer, die mir folgte.
»In Maries Zimmer«, fauchte ich, ohne auch nur eine Sekunde stehenzubleiben.
»Aber… das ist doch peinlich. Sollten wir sie nicht einfach ignorieren? Ich meine…«
»Jennifer Longstone, ich habe es satt, Dinge zu verdrängen, die mich unglücklich machen. Wenn ich diese Schule besuchen werde, muß ich hier als genau das akzeptiert werden, was ich bin, und keines dieser rotznäsigen Mädchen wird mich leiden lassen.«
»Geh du voraus«, sagte Jennifer. »Es ist das letzte Zimmer rechts in diesem Korridor.«
Wir marschierten weiter. Ich war jetzt aggressiv und nicht länger gewillt, mich demütig oder hilflos zu geben. Ich hielt den Kopf hoch erhoben und nahm eine stolze Haltung an, als wir uns Maries Zimmer näherten. Ich klopfte an. Das Grammophon wurde leiser geschaltet, und dann war Flüstern zu hören. Schließlich öffnete Marie ihre Tür.
»Ich dachte, ich schaue mal vorbei und helfe dir bei den Vorbereitungen für deine Arbeit«, sagte ich. Ich ging an ihr vorbei. In dem Moment, in dem ich durch die Tür trat, senkte sich eine Totenstille über ihr Zimmer herab. Die Zigaretten glimmten, und im Zimmer war dichter Rauch. Ellen und Wendy saßen auf dem Fußboden und tranken Coca Cola, und Carla, Toby und Betsy lümmelten sich mit Modezeitschriften und Fanmagazinen auf dem Bett. Einen Moment lang sagte niemand ein Wort. Dann drehte ich mich zu Marie um.
»Es tut mir leid, daß euch allen unangenehm ist, daß meine Eltern geschieden sind, aber es ist eine Dummheit von euch, mir die Schuld daran zu geben und Jennifer auch noch dafür büßen zu lassen, weil sie meine Zimmergenossin ist. Ich hatte gehofft, wir könnten uns alle anfreunden. Ich bin sicher, daß niemand in
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